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Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

Übereinander reden ist Silber – miteinander reden Gold

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So oder so ähnlich lautet wohl auch das Motto von Erasmus+, des EU-Programms zur Förderung der Erwachsenenbildung in Europa, das es mir nun bereits zum zweiten Mal ermöglichte, mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland in intensiven Austausch zu treten. Meine erste Erasmus-Mobilität führte mich im April 2019 zur Tagung „Museums as Agents of Memory and Change“ ins estnische Tallinn, wo ich zufälligerweise mit Dr. Thomas Overdick nach seinem Vortrag „RUM, SWEAT AND TEARS. A Change of Perspective in Curating and Displaying Colonial History“ ins Gespräch kam. Schon von dieser Reise kehrte ich durch viele neue internationale Kontakte mit einem Kopf voll Inspiration zurück.

2020 hätte es für mich eigentlich wieder zu einer Konferenz gehen sollen. Was dann passierte, wissen wir ja. Lange Zeit war an Mobilität nicht zu denken. In der Zwischenzeit hatte sich auch mein innerbetriebliches Aufgabengebiet geändert: mit der Übernahme der Organisation und Planung unserer Weiterbildungsangebote neben der Betreuung der Zertifizierungen und generellen Museumsberatung sah ich mich mit völlig neuen Fragestellungen konfrontiert. Ich recherchierte erst einmal gewissenhaft: wie machen das denn unsere Kolleginnen und Kollegen in den österreichischen Bundesländern? Und wie sieht das Angebot vergleichsweise in Deutschland aus?
Aber der reine Blick auf die Angebote reichte mir nicht – für die Neuplanung unserer Lehrgänge wollte ich in tieferen Austausch gehen. Wie gehen meine Kolleginnen und Kollegen an die Grundstrukturen heran? Welche Themen greifen sie auf? Warum? Wie versuchen sie genau, diese zu vermitteln? Was kommt an, was nicht? Welche Rahmenbedingungen gilt es zu beachten? Wo gibt es Stolperfallen?

Das Erasmus+-Projekt wurde über den geplanten Zeitraum von 2019-2020 hinaus verlängert. Nach Gesprächen mit Evelyn Kaindl-Ranzinger vom steirischen Museumsverband MUSIS, die dankenswerterweise mit größtem Engagement die Einreichung der Mobilitäten für das Projekt „Learning heritage goes Europe“ übernimmt, beschlossen wir, dass ich auf ein Job Shadowing ausweichen sollte – nicht nur, weil es mehr Flexibilität hinsichtlich der Pandemie bedeutete, sondern auch, weil ich damit ganz genau auf meine aktuellen Bedürfnisse und Fragestellungen eingehen konnte.

Bei der Recherche nach Anbietern von vergleichbaren Beratungs-, Zertifizierungs- und Fortbildungsangeboten in Deutschland stieß ich auf das Büro für Museumsberatung und -zertifizierung in Schleswig-Holstein in Rendsburg und die Stabsstelle des Museumsverbands für Niedersachsen und Bremen e. V. in Hannover. Bei letzterer stach mir ein Name gleich ins Auge – Dr. Thomas Overdick hatte kurz zuvor deren Leitung übernommen. Was für ein Zufall!
 

„Entschuldigen Sie bitte, ich hätte da eine vielleicht ungewöhnliche Frage …

… dürfte ich Sie vielleicht im Sommer besuchen kommen, ihnen ein paar Tage über die Schulter schauen und Sie mit Fragen löchern?“ Mit dieser Anfrage begannen meine Telefonate mit Thomas aus Hannover und seiner Kollegin Dagmar Linden aus Rendsburg. Beide erklärten sich sofort bereit, mich bei sich willkommen zu heißen und mit mir einen langen Fragenkatalog durchzugehen, den ich zuvor gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen erstellt hatte. Schließlich wollte ich nicht allein profitieren – wenn ich schon die Gelegenheit zu einem Einblick in zwei uns in Aufbau und Aufgabengebieten sehr ähnlichen Institutionen gewinnen und damit einen direkten Vergleich zwischen den Hintergründen und Arbeitsstrukturen ziehen konnte, dann wollte ich nicht nur meine eigenen Fragestellungen, sondern auch die meiner Kolleginnen mittransportieren.

Meine zentralen Fragen bezogen sich auf die Unterschiede in den Zertifizierungsverfahren, in der Auswahl, Organisation und Betreuung der Fortbildungsangebote und wie der Austausch mit den von ihnen betreuten Museen funktioniert. Aber ich nahm auch Fragen hinsichtlich Förderorganisation, Kooperationsprojekten, organisatorischer Strukturen innerhalb des Bundeslands, Digitalisierungsstrategien sowie Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit mit auf die Reise.

Es geht auf in den Norden

Als Auftakt zu meiner Norddeutschland-Tour machte ich mich am 12. August auf nach Bremen und Bremerhaven, weil ich mir dort nicht nur den Trubel der Maritimen Tage 2021 nicht entgehen lassen, sondern auch einige Museen wie das Deutsche Auswandererhaus und das Klimahaus Bremerhaven besichtigen wollte, die schon länger auf meiner Liste standen.

In Bremerhaven angekommen ergaben sich wiederum zufällig großartige Gespräche mit studentischen MitarbeiterInnen des Deutschen Schifffahrtsmuseums, die gerade die neue Wanderausstellung „Toxic Legacies of War - North Sea Wrecks“ präsentierten. Einige Ausstellungsbesuche, viele schöne Museumsschiffe und einen kleinen Törn durch die Außenweser bei Sonnenuntergang auf einem über hundertjährigen Dreimaster später konnte es dann mit der Erasmus+-Mobilität so richtig losgehen.

Ein Montagmorgen in Rendsburg

Dagmar Linden von der Museumsberatungs- und Zertifizierungsstelle Schleswig-Holstein empfing mich im Nordkolleg mit offenen Armen und Ohren, viel Kaffee und Keksen und natürlich haufenweise Ideen und Inspirationen.
Nach einem kurzen Einblick in ihren Kurs zu „Social Media für Kulturinstitutionen“ mit dem großartigen Prof. Dr. Christian Möller als Vortragenden kamen wir bis nach 17 Uhr aus dem Reden nicht mehr heraus. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Institutionsaufbau, Zertifizierungsmaßnahmen und Kursstrukturen haben uns zu sehr gefesselt.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen ging es noch zu einem Projektgespräch ins nahegelegene Eisenkunstgussmuseum Büdelsdorf, in dem gerade Eisenskulpturen von Erik Seidl als Sonderausstellung mit den Objekten der Dauerausstellung in direkte Beziehung treten. Spannend, Dagmar Linden und der Museumsleitung bei der Planung eines neuen Projekts zuhören zu dürfen, bei dem Schülerinnen und Schüler einmal ganz dezidiert zeigen dürfen, wie sie sich ein Museum vorstellen und was sie sich wünschen!

Der direkte Erfahrungsaustausch über die Museumsszene im Vergleich, über die Wünsche, Bedürfnisse und Möglichkeiten der Museen in Schleswig-Holstein war wirklich interessant. Ich war schon ein wenig traurig, dass ich abends direkt weitergezogen bin nach Hannover, ohne mir mehr Museen in der Umgebung angesehen zu haben, aber ich bin Dagmar sehr dankbar für all den fachlichen Input und vor allem auch die Offenheit, die unser Gespräch sehr bereichert hat!

 

„Besprechen wir doch am Dienstag bei einem gemeinsamen Mittagessen den Plan für die nächsten zwei Tage“

Das schlug Thomas Overdick vom Museumsverband für Niedersachsen und Bremen in Hannover vor. In der Theorie ein guter Plan, praktisch sprangen wir allerdings sofort in den direkten Erfahrungsaustausch und ins Fachsimpeln. Geplant werden musste da nichts, die Themen wären auch ohne meinen dreiseitigen Fragenkatalog automatisch in alle Richtungen geflossen.

Als Einstimmung habe ich mir schließlich am Vormittag schon das Sprengel Museum angesehen und war begeistert von deren Ausstellungskonzeption und der Offenheit, mit der sie Informationen über ihr Haus (von der Altersstruktur ihrer BesucherInnen über die Menge an digitalisierten Werken bis hin zu der Anzahl ihrer Angestellten) nach außen kommunizieren.

Nach unserem gemeinsamen Mittagessen empfahl mir Thomas, einen Sprung ins Landesmuseum zu schauen, das gerade noch die geniale Schau „Kinosaurier“ zeigte. Ein kleiner Tipp am Rande: offensichtlich habe ich so viel Begeisterung darüber mitgenommen, dass das Wiener Naturhistorische Museum die Ausstellung von 20. Oktober 2021 bis 18. April 2022 zeigt.

 

Austausch ohne Punkt und Komma

Der Mittwoch stand für Thomas und mich ganz im Zeichen der Museumsgütesiegel.
Es war für uns sehr spannend, die Unterschiede in den Zertifizierungsprozessen in Deutschland und Österreich herauszuarbeiten und nachzufühlen, welche Punkte davon in der unterschiedlichen Grundstrukturierung unserer Einrichtungen begründet sind.
Innerhalb von sechseinhalb Stunden gönnten wir uns nur eine kurze Pause, so gut im Fluss waren wir in unserem Austausch!

Ich dachte eigentlich, ich würde nur mit zehn Kilo an Publikationen in den Norden reisen und mit einem leichteren Koffer zurückkehren, aber Thomas stattete mich zusätzlich mit einer Menge an tollen Handreichungen und Fachzeitschriften sowie einer Mappe aus ihrem Zertifizierungsprozess aus: alles Drucksorten, die für uns ein Quell der Inspiration sein werden.

Den Donnerstag verbrachten wir damit, meinen restlichen Fragenkatalog gemeinsam durchzugehen. Angefangen von dem Vergleich an Beratungsanfragen über den Stand der Digitalität der von uns betreuten Institutionen bis hin zur inhaltlichen Entwicklung, Strukturierung und Preisgestaltung unserer Fortbildungsangebote spannten wir einen breiten Bogen.

Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich auch hier mit einer so frischen Offenheit empfangen wurde, Thomas sich zwei volle Tage nur für Gespräche mit mir freigehalten und mir einen wunderbaren Einblick in hiesige Strukturen und Herangehensweisen, aber auch aktuelle Debatten geboten hat.

Um mein rauchendes Gehirn ein wenig zu beruhigen, bin ich abschließend noch auf Thomas‘ Empfehlung durch das Museum Schloss Herrenhausen und die Herrenhäuser Gärten spaziert – ein krönender Abschluss meines Aufenthalts in Norddeutschland!

 

Wieder zurück in St. Pölten …

… brauchte ich erst einmal ein paar Tage, um all die frischen Ideen für mich und unser Team zu sortieren. Ich hatte so viel Motivation und Inspiration im Gepäck, dass es keine zwei Wochen dauerte, bis ich unser Fortbildungsprogramm für die nächsten Jahre neu geplant und strukturiert hatte. Offensichtlich hatte es genau diese Gespräche gebraucht, um mir den letzten nötigen Schwung zu geben, die letzten Fragen zu klären und das letzte Schäufelchen Mut, Neues auszutesten.

Nach einer teaminternen Präsentation aller bedeutsamen Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich von meiner Reise mitgebracht hatte und weiteren Gesprächen zu den jeweils mitgenommenen Fragen bin ich mir sicher, dass wir alle von diesem Aufenthalt profitieren können. Ich fand es spannend, gemeinsam mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen herauszuarbeiten, worin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in unserem strukturellen Aufbau und in unseren Aufgabengebieten liegen und wie sich das wiederum auf unsere Arbeitsweisen auswirkt. Mir hat der Aufenthalt auch geholfen, Zusammenhänge dahingehend viel besser zu verstehen und ermöglicht mir so auch meine Prioritäten zukünftig anders zu setzen – es war also kein reiner Vergleich zwischen Arbeitsfeldern, es war viel mehr.

Ein Austausch, ein In-Frage-stellen, ein Sinnieren auf den verschiedensten Ebenen, für das ich sehr dankbar bin. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass der Austausch auch Thomas und Dagmar viel Inspiration und neue Sichtweisen geboten hat und auch bei ihnen viel in Gang setzen wird.  

Ich bin mit ganz vielen neuen Ideen im Kopf heimgekehrt, die sicherlich nicht nur mich, sondern mein ganzes Team zu neuen Denkprozessen anregen und uns damit immer näher an unser Ziel herantragen werden, die regionale Museumsarbeit bestmöglich zu unterstützen und zu professionalisieren.

Ich bin unendlich dankbar für die Möglichkeit, die das Erasmus+-Programm mir und meinen KollegInnen bietet und freue mich schon auf die nächste Mobilität!
 

Hier noch ein statistisches Fazit meines Erasmus+ Aufenthalts:

7 Tage plus 2 Reisetage – 8 Museen, eine Sonderausstellung und 2 Museumsschiffe – 2 besuchte Museumsverbände – rund 2700 Reisekilometer gesamt mit der Bahn – durchschnittlich 10,2 Kilometer Fußweg am Tag – 26kg Gepäck, davon 10kg Publikationen – 1000 Ideen und Inspirationen
 

Text: Patricia Nekuda