DE
Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

„Problematische Objekte Online“ – Digitalisierung mit Kontextualisierung im Salzburg Museum

Alle ArtikelMuseumsarbeit

2019 feierte das Salzburg Museum den Launch seiner Sammlung Online mit mehr als 100.000 digitalisierten Objekten.

Schnell wurde klar, dass die geplante vollständige Onlineveröffentlichung der Bestände große Herausforderungen mit sich bringen würde: Wie sollte zukünftig mit Objekten aus nationalsozialistischen, rassistischen, diskriminierenden Kontexten verfahren werden, die bisher den kuratorischen „Giftschrank“ nur im Rahmen gut vorbereiteter Ausstellungen oder Publikationen verlassen hatten?

Eine Arbeitsgruppe wurde gegründet, um vor dem Hintergrund musealer Individuallösungen eigene Leitlinien und Strategien zu entwickeln.

Das Salzburg Museum stellt die größte und umfassendste Sammlung des materiellen Kulturerbes von Stadt und Land Salzburg dar, die heute auf eine beinahe 200-jährige Tradition zurückblickt. Den traditionellen Erschließungsmaßnahmen mittels Zugangsbüchern, wechselnden Karteikartensystemen und ersten Datenbanken steht eine relativ junge, großangelegte Digitalisierungsinitiative gegenüber.

Seit 2012 bildet die digitale Erfassung einen Arbeitsschwerpunkt des Salzburg Museum. Man hat sich zum Ziel gesetzt, den gesamten Bestand von mehr als 700.000 Objekten aus 15 Sammlungsbereichen zu erschließen und in einer Online-Datenbank zu veröffentlichen. Im Jahr 2019 konnten die ersten 100.000 Objekte in Sammlung Online präsentiert werden. Getragen wird das Digitalisierungsprojekt von den Sammlungsleiter:innen, angestellten Inventarisierungskräften, Praktikant:innen und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen, begleitet durch den Chefkollektor.

Bei einer solchen „Massendigitalisierung“ durch unterschiedlichste Individuen ergibt sich unausweichlich ein Konflikt zwischen Zeitmanagement und musealer Sorgfaltspflicht. (Vgl. Klaus Ceynowa, Content ohne Context? Grenzen der „Offenheit“ digitaler Sammlungen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 64 (2017) 3–4, S. 181–187.) Zunächst stellte sich konkret die Frage, wie zukünftig mit antisemitischen Propaganda-Objekten und NS-Symbolik bei der Online-Veröffentlichung umzugehen sei. (Dies gerade auch vor den damaligen Revisionismus-Vorwürfen gegenüber dem Heeresgeschichtlichen Museum, vgl. Fabian Schmid, Wehrmachts-Merchandise im Heeresgeschichtlichen Museum, in: Der Standard, 5. September 2019 oder [o. A.], „Braune Flecken“ im Heeresgeschichtlichen Museum: Prüfung wird ausgeweitet, in: derStandard.at, 22.01.2020.) Werden derartige Objekte ausschließlich mit Grunddaten und Abbildung online veröffentlicht, stellt das Museum letztlich allen User:innen der Datenbank gefährliche Propaganda ungefiltert zur freien Verfügung, ohne diese in ihren historischen Hintergrund einzubetten und näher zu erläutern. Bei jeder Print-Publikation oder Ausstellung wäre ein solcher Ansatz undenkbar.

Die Schaffung von „Content ohne Context“ (vgl. Ceynowa 2017.) ist vor diesem Hintergrund auch digital nicht tragbar. Doch schon Inventarisierungsarbeit großer Objektzahlen an sich ist problembehaftet: In wenigen Minuten sollen von Menschen geschaffene oder menschendarstellende Objekte beschrieben, systematisiert und eingeordnet werden. Museumspersonal betreibt damit ohne Pause ein kritisches Labeling, meist ohne Zeit für tiefergehende Recherchen, wodurch historische Kontexte und Konflikte oft in den Hintergrund gerückt werden (Abb. 3). Dazu kommt, dass nicht alle Inventarisierenden auf dem gleichen Stand aktueller gesellschaftspolitischer Diskussionen sind, die wiederum nicht stagnieren.

Während im Salzburg Museum bei Ausstellungen und Print seit Jahren in ganz besonderem Maße auf inklusive Sprache wertgelegt wird, begann die Digitalisierung – wie vielerorts – mit der Datenübername aus Karteikarten und früheren Datenbanken, deren Sprache und Kategorisierungen in einigen Fällen mindestens als überholt zu betrachten sind und sich heute vielfach als ‚Altlasten‘ in der aktuellen Datenbank wiederfinden. Überdies finden allgemein in Archäologie, Kunst- und Kulturwissenschaften noch immer Fachbegriffe und Denkweisen Verwendung, die mehr als veraltet sind und erst seit wenigen Jahren in besonderer Weise hinterfragt und abgelöst werden.

Wie ist nun trotz alledem eine sensible Beschreibung problematischer Objekte in großen Zahlen bei maximaler Sichtbarkeit aller Sammlungsbestände zu bewältigen? Recherchen und Anfragen in österreichischen und internationalen Museen ergaben unterschiedlichste Meinungen und Lösungsansätze, aber vor allem das Fazit, dass standardisierte Leitlinien vor dem Hintergrund des digitalen Individualismus der Museumslandschaft seit Jahren Desiderat geblieben sind.

(Anm.: Wichtige Gegenbewegungen agieren bereits international, vgl. z.B. https://cidoc.mini.icom.museum oder https://portal.wissenschaftliche-sammlungen.de/wiki/Wiki_Digitalisierung)

 

Um zukünftig den sensiblen Umgang mit problematischen Objekten und Begriffen in der Online-Sammlung des Salzburg Museum zu gewährleisten, wurde daher eine eigene Arbeitsgruppe gegründet. Erste Maßnahme war die Sichtung der Sammlungsdatensätze aller Sammlungsbereiche, um möglichst das gesamte Spektrum an Thematiken oder Problematiken zu erfassen. Die Liste an Objekten, die Teil national(sozial)istischer Propaganda sind, wurde schnell erweitert durch Museumsobjekte, die allgemein Produkte einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit darstellen oder generell Inhalte vermitteln, die heute kritisch zu hinterfragen sind. Erfasst wurden Objekte und Begriffe aus Kontexten wie Diskriminierung, Rassismus, Kolonialismus, Antisemitismus, Ausgrenzung von Sinti und Roma, Sexismus, LGBTQI+-Feindlichkeit, Ableismus, Othering, Pädophilie und Gewaltdarstellungen. Alle relevanten Objekte und ihre zugehörigen Datensätze haben gemein, dass sie aufgrund ihrer Inhalte nicht ohne erläuternde historische Einordnung guten Gewissens frei im Netz zur Verfügung gestellt werden können, aber im Sinne unseres Bildungsauftrags online sichtbar gemacht werden sollten.

 

Wichtiger Diskussionspunkt vorab war daher die Frage nach musealer „Selbstzensur“ (Vgl. Katherine Seally, Self-Censorship in Museums: The Case of Sex: A Tell-all Exhibition, in: The IJournal 1 (2016) 2,  [Zugriff: 12.4.2023]): Wir sind zu dem Fazit gekommen, dass möglichst das ganze Spektrum der Salzburger Geschichte – auch der Ausgrenzung und des Rassismus etc. – repräsentiert werden muss, um diese relevanten Themen nicht unsichtbar werden zu lassen oder gar ein geschöntes Bild der Vergangenheit zu vermitteln, im Rahmen der Vorgabe zur Gesamtdigitalisierung. Nur absolute ‚Härtefälle‘, wie z. B. Fotografien toter Kriegsopfer, sollen ausschließlich auf Anfrage bei begründetem Interesse freigegeben werden.

Durch die Projektgruppe werden die entsprechenden Datensätze in der Museumsdatenbank erfasst und gesammelt, anschließend in enger Zusammenarbeit mit den Sammlungsleiter:innen auf die jeweilige Problematik hin überprüft und im freien Beschreibungstext individuell kontextualisiert. Gemeinsam wird entschieden, ob problematische Begriffe aufgrund geschichtswissenschaftlicher Notwendigkeit (z. B. Begriff ohne Alternativen, originaler Werktitel) beibehalten werden sollten . Entsprechende Datensätze werden automatisiert mit einem Distanzierungs-Kommentar versehen, der ebenfalls auf den problematischen Inhalt verweist. Beibehaltene problematische Begriffe werden mit einem Glossar verlinkt, das eine weitere, allgemeine Kontextualisierung bereithält. (Anm.: Das Glossar wurde und wird mit Unterstützung von Robert Obermair (Universität Salzburg/_erinnern.at_) und Chefkollektor Markus Schwellensattl, Salzburg Museum, erstellt). Erst nach Abschluss dieser Arbeiten geht der Datensatz online.

 

Die Mischung aus individuellen Freitexten und automatisierten Textbeigaben macht es möglich, Objekten nach Einzelfall gerecht zu werden und gleichzeitig standardisierte Kontexte zeiteffizient beizugeben. Über die Inhalte aller Textgattungen wird in engem Austausch und kleineren Workshops mit dem Team der Sammlungsleitungen und Inventarisierenden diskutiert und Ergänzungswünsche umgesetzt. Dies bietet die Chance, Vorbehalte gegen das Eingreifen in die individuelle Sammlungsarbeit zu vermeiden und das Fachwissen der einzelnen Bereichsleitungen gebündelt in das Projekt einfließen zu lassen. In Sammlung Online wird überdies über die Hintergründe des Projekts genau informiert und zur Kontaktaufnahme bei Fragen und Anregungen eingeladen, um etablierte Ressentiments gegen vermeintliche „Cancel Culture“ etc. abzubauen sowie bisher übersehene Problematiken zu erfassen.

Mit dem Projekt Problematische Objekte Online hat sich das Salzburg Museum auch im digitalen Raum einer antidiskriminierenden, postkolonialen und antirassistischen Museumsarbeit verschrieben. Aktuelle gesellschaftspolitische Diskussionen werden aufgegriffen und nun auch in Sammlung Online behandelt. Dies ergibt einen erheblichen Mehrwert für Digitalisierungsarbeit und Online-Auftritt. Das eigens erstellte und ständig erweiterte Glossar kommt mittlerweile auch als Orientierung in der Ausstellungsgestaltung zum Einsatz. Der durch das Projekt und den internen Austausch angestoßene Erkenntnisgewinn zu unseren vielfältigen Sammlungen ist ein wertvoller Nebeneffekt.

 

Text: Alexandra Hylla M.A
Die Autorin ist leitet das Projekt Problematische Objekte Online. Zum Umgang mit Produkten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in den Sammlungen des Salzburg Museum - bei der Inventarisierung und Online.