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Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

Kulturvermittlung auf Bierdeckeln

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Museum neu gedacht

Seit einigen Jahren entwickelt sich im Bezirk Bruck an der Leitha (Region Römerland Carnuntum) ein Museum, das keinen Raum mit vier Wänden, Boden und Decke hat. Es ist auch nicht nur digital. Doch es erzählt Geschichten der Region an eben jenen Orten, an denen diese passiert sind. Wir schreiben unsere Texte nicht auf Ausstellungstafeln, dafür stellen wir unsere Vitrinen auch einmal in ein Kaffeehaus. Viele Menschen in der Region denken über dieses Museum nach, während wir versuchen, über konventionelle Grenzen zu springen (manchmal stolpern wir dabei) und oft entdecken wir ganz viel Neues. Das Museum heißt popUPmuseum und hat nach einer Konzeptions- und Testphase das Ziel, im Jahr 2024 mit Projekten aller Art zu starten.

 

Gerüchteküche

Stopp! So stimmt das nicht ganz, denn ein Projekt hat bereits gestartet: „Host schon g´heart – Gerüchte und Wahrheiten aus Fischamend auf Bierdeckeln“.

Worum geht es dabei? Nun, Fischamend ist dafür bekannt, dass besonders viele Gerüchte gestreut werden, sagt der langjährige Stadtforscher Adalbert Melichar. Gemeinsam haben wir Gerüchte gesucht, die in den letzten 100 Jahren erzählt wurden.

 

Wenn (Un-)Wahrheiten brodeln

„Host schon g´heart …?“ – So beginnen viele Geschichten dieser exotischen Gattung der Volksprosa. Sie werden oft als Halbwahrheiten, Flüsterpropaganda, Latrinenparolen oder Stammtischredereien bezeichnet, doch übernehmen sie in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation eine ganz wichtige Funktion: mit ihnen lassen sich persönlich erlebte Bedrohungen bewältigen, sie dienen der Unterhaltung, schaffen Zusammengehörigkeit in Gruppen oder dienen leider auch dazu, über andere schlecht zu reden. Wir glauben sie gerne, wenn sie unserer Meinung entsprechen, und hin und wieder verlieren wir beim mehrmaligen Weitererzählen schon einmal die Wirklichkeit. Ist diese wunderliche Geschichte vielleicht doch wahr, steckt in dem Gerücht der vielzitierte wahre Kern?

Die Botschaft, die wir mit diesem Projekt aussenden wollen, ist: Wir brauchen Gerüchte oder auch „unwahre Geschichten“, um ins Gespräch zu kommen. Allerdings ist die Grenze zur Wirklichkeit oft hauchdünn und messerscharf. Darauf müssen wir – auch zwischenmenschlich – achten.

Dazu zwei Beispiele:

Host schon g´heart, …?

... dass die Pressburgerbahn von Wien kommend in Fischamend-Markt nicht stehen bleibt, weil sie Schwung braucht, um über den Rosenhügel zu kommen? Der Rosenhügel ist eine Erhebung, die wir beim Spaziergang kaum bemerken. Und daran soll eine Lokomotive gescheitert sein, deren „Schwestern“ 60 Jahre früher (im Jahr 1854) schon über den Semmering gefahren sind? Es ist schwer zu glauben, aber es ist wahr …

 

Host schon g´heart, …?

... dass der Fischaturm zusammenbrechen wird? Er muss sicher abgerissen werden! Tatsache ist, dass die einspurige Durchfahrt durch den Turm zu zahlreichen Zusammenstößen mit Fahrzeugen aller Art führten – auch ein Fahrradfahrer, ein Dorftrottel wie man sagt, soll einmal mit dem Turm kollidiert sein. War er betrunken? War er zu blöd? Konnte er nicht Rad fahren? Die Gefahr des Einsturzes war zwar selbst durch ihn nicht gegeben, dennoch baute man sicherheitshalber eine zweispurige Umfahrung.

Ein Museum ohne Boden, Wand und Decke: Mutig?

Ist das nun regionale Kulturvermittlung? Hat das etwas mit Museum zu tun oder lediglich mit Populismus? Wir legen in der Museumsarbeit viel Wert darauf, wissenschaftlich fundiert vorzugehen. Gleichzeitig möchten wir die Besucher*innen ganz niederschwellig einladen, sich mit den verschiedenen Ausstellungthemen zu beschäftigen. Und genau das versucht das popUPmuseum! Ja, wir haben keinen Museumsraum, der durch Wände, Boden und Decke definiert ist. Stattdessen kann er überall in der Region Platz finden.

Ein Ergebnis all dieser Überlegungen ist, das Projekt ZukunftGeschichteMuseum in Fischamend, wo das Feuerwehrmuseum, der Historikerverein „Interessensgemeinschaft Luftfahrt Fischamend – kurz ILF“ und Wirtschaftstreibende (wie das Café Süßer Anker) zusammen Kulturprojekte konzipieren, organisieren und umsetzen. Kooperation auf breiter Ebene ist für manche Kulturexpert*innen mit der Furcht verbunden, Kultur zu kommerzialisieren. Aber wenn die Partner*innen in einer solchen Zusammenarbeit aus verschiedenen Blickwinkeln einen gemeinsamen Sinn erkennen ... Warum nicht mutig sein?

Mutig!

So, und was ist nun die große Erkenntnis aus diesem Projekt?

Ich bin der Überzeugung, dass auch so kleine Projekte wie das Bierdeckel-Projekt in Fischamend mit einem Gesamtbudget von EUR 1.600 und acht Kooperationspartner*innen (fünf Gastronomiebetriebe, die Gemeinde, bierdeckel.at und popUPmuseum) fundiert recherchiert und mit einem Botschaft versehen, umsetzbar sind. Also, warum nicht mutig sein!

Text: Wolfgang Tobisch