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Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

Barocker Technologiepark: Die Nadelburg

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Vom VIP zum Geheimtipp

Vor 100 Jahren hätte sie so ziemlich jede und jeder in der Monarchie noch gekannt, heute gilt die Nadelburg als Geheimtipp, nicht nur unter Industriearchäolog*innen. Doch was war die Nadelburg, was ist sie heute? Der Museumsleiter erzählt.

Schon bei Betreten dieses Ortsteiles von Lichtenwörth fallen die gleichmäßig errichteten Häuser auf, eine eigenwillige Kirche und einige noch verbliebene Bauwerke mit dem unverkennbaren Fabrikscharakter des 19. Jahrhunderts. Kaum jemand weiß, dass hier Industriegeschichte geschrieben worden ist. Unter den wachsamen Augen Maria Theresias entstand 1756 eine Arbeitersiedlung mit Fabrik. Die heutige Bedeutung des Wortes „Fabrik“ war damals gerade erst im Entstehen, gab es doch fast ausschließlich kleine Manufakturbetriebe. Die ersten Fabrikate, die hergestellt wurden, waren Nadeln, und in unmittelbarer Nähe befand sich eine Wasserburg. – Die Kombination aus diesen beiden Faktoren ergab im Laufe der Zeit den Namen "Nadelburg".

Alltagsprodukte auf höchstem Niveau

In der „.k.k.priv. Nadelburger- Messing- und Metallwarenfabrik“ wurden nach aktuellem Wissensstand über 800 verschiedene Gegenstände erzeugt und diese zumeist in verschiedenen Größenordnungen. Beispielsweise wurden bis ins Jahr 1930 Alltagsgegenstände wie Bügeleisen, Mörser oder Gewichte produziert. Die Arbeiter bzw. die Meister der Fabrik hatten ein großes Wissen um diese Herstellungstechniken. Noch heute wäre die Herstellung von konischen Gewichten ein höchst schwieriger und anspruchsvoller Arbeitsprozess.

In einem Reisebericht von 1831 wird die Nadelburg wie folgt beschrieben:

"Das Ganze hat überhaupt ein imposantes Ansehen und erregt bei den Fremden die Neugierde es zu besehen, wo auch die ganze Einrichtung dieser großen Fabrik nicht nur den Kunstsinn des gegenwärtigen Herrn Besitzers verrät, sondern auch die Überzeugung gewährt, wie außerordentlich Industrie- und Fabrikszweige auf die höchste Stufe der Kultur in Österreich gebracht worden sind."

In einem Fachbuch von 1895 ist wiederum zu lesen: „…die bedeutendste Bronzegießerei ist die Nadelburg bei Lichtenwörth zu nennen“.

Wohnadresse: Nadelburg

Das heutige Museumsgebäude wurde im Laufe der Zeit vielfältig genutzt, sowohl als Wirtschaftsgebäude oder auch als Wohnhaus für Arbeiterfamilien. So hat nahezu jeder Raum eine bewegende Geschichte. Etwa ein Wohnbereich, der in absoluter Not anstelle eines Lagerraumes geschaffen wurde. Die Küche ist daher eine der kleinsten in ganz Europa, in die für vielleicht 15 Minuten das Sonnenlicht fällt. Dann herrscht ein schmaler, zumeist starker Lichtstrahl in der hinteren Ecke des Raumes. Dieser verschwindet genauso rasch, wie er gekommen ist. Den Rest des Tages ist es ohne Petroleumlampen in diesem Raum dunkel. Schwer vorstellbar in unserer modernen Zeit, wie in diesen beengten Räumen eine Familie wohnte, ohne fließendes Wasser, ohne Strom oder sonstigen Komfort.

Eine Industrieikone wird zum Museum

In einem der größten Gebäude des Areals ist heute das Nadelburgmuseum untergebracht. Die Besitzer des Objektes sind eng mit diesem Ort verbunden. So erzählt der Museumsleiter Robert Bachtrögl, wie hier seine Urgroßväter im Drahtzug Drähte produzierten. Später sammelte sein Großvater alle verbliebenen Relikte der Fabrik, auch Pläne und historisches Bildmaterial. Auf dieser Basis entstand mit bescheidenen Mitteln, aber großer Heimatverbundenheit im Jahr 1984 das Museum.

"Als ich mich nach dem Tod meines Großvaters im Jahr 1997 in seinem Museumsraum umsah, war mir klar, dass man hier vieles aus- und umbauen musste. Damals gab es nur einen einzigen Museumsraum, dem die Feuchtigkeit bereits zusetzte; die handbeschrifteten Notizen an Opas Bildern begannen zu verbleichen. So adaptierte ich mit Liebe zum Detail Raum für Raum als Museumsfläche, bewahrte dabei aber stets das Erhaltenswerte wie alte Türen, Kalkmalereinen oder auch manch knarrenden Holzboden. Die Räume boten sich dafür gut an.In vielen Bereichen wurde kaum modernisiert und darüber hinaus bieten die leerstehenden Räume einen besonderen Charme, den es zu bewahren galt. Um das Haus finanziell zu erhalten und sinnvoll zu nutzen, begannen meine Eltern seinerzeit hier im Gebäude modernisierte Mietwohnungen zu schaffen. Als ich damals sah, wie auf diese Weise die ursprüngliche Substanz zerstört wurde, stoppte ich dies und bin noch heute, rückblickend, sehr froh darüber."

Der heutige Museumsleiter, Robert Bachtrögl, schildert ganz persönliche Eindrücke.

Den Museumsbesucherinnen und Museumsbesuchern bieten sich Einblicke in verschiedene Räumlichkeiten, in denen die Zeit seit Langem still zu stehen scheint. Ein Hauch von Dornröschenschlaf erhöht die Wehmut des Anblicks längst vergangener Zeiten. Sei es der vom Museumsgründer Franz Gehrer ursprünglich erhaltene Museumsraum oder der Glanz eines erfolgreichen Metallimperiums, in beinahe jedem der unzähligen Räume sind von oben bis unten Bilder mit Wissenswertem zur Nadelburg untergebracht.

Zumeist über die Wintermonate werden notwendige Reparaturen durchgeführt oder die Sammlung ergänzt. Beides vorwiegend in Eigenregie, vor allem die Instandhaltung und die Pflege der Ausstellungsgegenstände sind immer wieder mit großem Aufwand verbunden. Es kam bereits öfters vor, dass ein altes Wasserrohr Probleme machte, dessen Tausch sich jedes Mal extrem aufwändig gestaltete. Egal ob Holzkastenfanster, verzogene Türen, Feuchtigkeitsschäden usw. – die Nadelburg kann man getrost als Dauerbaustelle bezeichnen. (Damit ist sie auch heute noch eine "Fabrik" bzw. "fabbrica", wie solche immerwährenden Aufgaben im Italienischen bezeichnet werden.)

Gesammelt wird nach wie vor, Raritäten der Nadelburg werden aufgespürt, Bilder gerahmt und neue Ausstellungsgegenstände präsentiert. Auch Rundgänge innerhalb des Nadelburgareals werden gemäß der Familientradition seit über 35 Jahren im Privatmuseum auf Anfrage gerne angeboten. Einmal jährlich gibt es auch einen „Tag der offenen Tür“ bei dem der Museumshof aufwändig dekoriert wird.

Text: Robert Bachtrögl

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