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Virtulleum – auf Stadtexpedition durch Tulln

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Eintauchen in Stadtgeschichte: bei einem Spaziergang durch Tulln, virtuell per App oder in einer Kombination von beiden.

Unmittelbar fällt mir mein ehemaliger Lateinlehrer ein: "Zum wiederholten Male: Beim Wort 'Konsul' liegt die Betonung NICHT auf dem 'u'! Da kriegt man ja Sodbrennen!" Mit Leidenschaft und umfassendem Wissen versuchte er sechs Jahre lang, uns die lateinische Sprache und das Leben im alten Rom näher zu bringen – reiste dazu sogar mit einer Horde Jugendlicher nach Rom. Er versorgte uns mit unzähligen Anekdoten über machthungrige Kaiser, grausame Gladiatorenkämpfe, imposante Bauwerke und römische Legionen.  

Nun, etliche Jahre später, stehe ich in Tulln vor dem Salzturm, der in spätes Vormittagslicht gehüllt ist: eines der wenigen Relikte aus dem ehemaligen Römerlager Comagenis, das noch erhalten ist. Nur ein kurzer Blickwechsel auf das Handy und wie aus Zauberhand schließt an diesen Turm eine Stadtmauer mit Zinnen und weiteren Türmen an. Sogar ein Römer steht wenige Meter vor mir – mit Kettenhemd, Lanze und Helm. Ich drehe mich um meine eigene Achse und entdecke Menschen und Pferde, die eben das Römerlager durch ein Tor verlassen. Zeitsprung in die Vergangenheit?

Wie der Salzturm zu seinem Namen kam

Ein weiterer Blick auf das Handy zeigt die Umrisse des ehemaligen Römerlagers Comagenis auf dem heutigen Tullner Stadtplan: Neue Mittelschule und Römermuseum innerhalb, Pfarrkirche St. Stephan und der Brunnen mit Donaunixe knapp außerhalb der Mauern. Weiters erfahre ich, welch unterschiedlichste Funktionen der Römerturm seit seiner Erbauung im 4. Jahrhundert nach Christus innehatte und wie er zu seinem heutigen Namen „Salzturm“ kam: So diente er als Zeughaus zur Aufbewahrung von Waffen, als Magazin für einen Salzhändler, für Gottesdienste und als Treffpunkt einer Studentenverbindung. Ganz im Detail kann ich dann die Klinge einer Spatha betrachten – ein besonderes Schwert mit länglicher Klinge, das zur Römerzeit weit verbreitet war.

Der Römerturm war die erste Station meiner Expedition durch Tulln. Welche Geheimnisse wohl die nächsten Stationen lüften werden? Sie klingen schon mal vielversprechend: Kamelskelett, Friedhofsprotokoll, Zuckerhüte, Münzfund. Ich mache mich auf den Weg durch die Stadt.

Virtulleum: Virtuell – Tulln – Museum

Ein neues Projekt der Stadt Tulln mit dem klingenden Namen „Virtulleum“ verknüpft historisch wertvolle Objekte aus der Sammlung des Stadtmuseums mit konkreten Orten in Tulln. 30 Objekte, von der Jungsteinzeit bis ins 20. Jahrhundert, sind im Museum ausgestellt und bilden den Ausgangspunkt für eine Expedition durch die Stadt. Man muss aber nicht unbedingt im Museum starten, denn die Tour beginnt mit dem Download der App „Virtulleum“. Diese führt dann zu fünf Stationen, die per Zufall – durch "Werfen der Geschichtswürfel" – ermittelt werden. So kann man bei einem Spaziergang in die Geschichte der Stadt eintauchen und Tulln von einem anderen Blickwinkel aus kennen lernen. Die App erlaubt eine spielerische Beschäftigung mit Stadtgeschichte und man kann selbst entscheiden, wie tief man in die bei jeder Station virtuell bereit gestellten Informationen eintauchen möchte: Mit Hilfe von 3D-Rekonstruktionen wird Tulln zur Römerzeit lebendig. Panoramaaufnahmen erlauben einen Blick auf Tulln in früheren Zeiten. Bei Zeitzeugeninterviews berichten Tullnerinnen und Tullner über ihre Stadt – beispielsweise zur Zeit des Nationalsozialismus. Kinder und Jugendliche erzählen Menschen, die in 200 Jahren in dieser Gegend leben werden, über das heutige Tulln.

Sehr anschaulich werden hier Information und Unterhaltung verwoben. Die Intention, dass auch Menschen, die sich nicht unbedingt für Geschichte interessieren, über die App einen spielerischen Zugang zur Geschichte der Stadt finden, könnte gut funktionieren. Vielleicht entdeckt auch der eine oder die andere Tullner/in, ob alt eingesessen oder neu zugezogen, Spannendes für sich, ums Eck von Zuhause. Auch für den Geschichts- oder Lateinunterricht bieten sich hier wohl interessante Anknüpfungspunkte. Gerne hätte ich die 30 Objekte, die mir über die App vertraut geworden sind, im Original gesehen. Über die Wintermonate bleibt das Museum jedoch geschlossen, sodass mir die Aura der Originale diesmal verwehrt bleibt – ein Anlass, im Frühjahr wieder zu kommen.

Ne discere cessaveris

Wahrscheinlich hätte auch meinem Lateinlehrer diese Art der Wissensvermittlung gut gefallen. Was er wohl dazu gesagt hätte? Ich krame in meinem Gedächtnis und tatsächlich tauchen einige Bruchstücke Latein auf… Non scholae, sed vitae discimus (oh ja, für das Leben lernen wir). Ne discere cessaveris (höre nicht auf zu lernen). Ich freue mich über meinen reanimierten Wortschatz – non plus ultra! – und mache mich auf den Weg, das Geheimnis der Zuckerhüte zu lüften.

Infos auf www.virtulleum.at, gratis-Download der Virtulleum-App in den App Stores von Google Play und Apple

Museum Tulln, Marc-Aurel-Park 1b, 3430 Tulln. Geöffnet April-Oktober, Mi-So und Ftg 10-17 Uhr

Dieser Artikel ist ursprünglich im Schaufenster Kultur.Region, Ausgabe 1/2020 erschienen.

Text: Karin Böhm