SK
Select Language

Die "Königin Europa" in Retz

Alle ArtikelMuseumsMenschenNÖ MuseenAusstellungen und Veranstaltungen

Die Retzer „Königin Europa“. Kolorierter Holzschnitt, Augsburg 1534. Entwurf: Johannes Putsch (1516–1542), Ausführung: Jost Denecker (ca. 1485–1548) (Foto: © Museum Retz).

Im Zuge meiner Forschungsarbeiten im Rahmen des Projekts „MuseumsMenschen“ in den Depots der Stadtmuseen entdecke ich immer wieder Fundstücke, die mir ausnehmend gut gefallen. Als eigenständiges Spin-Off-Projekt habe ich begonnen, zu diesen Funden kleine Essays auf einem Blog zu veröffentlichen. Denn vielen dieser Fundstücke ist nicht nur eine gewisse Skurrilität eigen – oder eben eine Banalität, die sie jedoch beim zweiten Blick verlieren – sie eignen sich hervorragend dazu, anhand ihrer Geschichte eine Epoche näher zu erläutern.

Im Sommer des Jahres 2018 allerdings ist mir bei der gemeinsamen Suche mit Mag. Helene Schrolmberger nach einem solchen Objekt im Stadtmuseum Retz ein Fund untergekommen, der uns beide seitdem beschäftigt: ein kolorierter Holzschnitt aus dem Jahr 1534, der den Kontinent Europa in Gestalt einer Königin zeigt (siehe Abbildung).

Die älteste Darstellung dieser Art

Es handelt es sich bei der Retzer „Königin Europa“ um die älteste Darstellung dieser Art. Der Entwurf der Karte stammt von dem Tiroler Johannes Putsch (1516–1542). Bislang galt ein Exemplar seiner Karte, das sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum befindet und in das Jahr 1537 datiert, als die Urvorlage dieses Sujets, das sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute. Verschiedene Variationen dieser kartographischen Erdteilallegorie waren im gesamten Heiligen Römischen Reich verbreitet.

Johannes Putsch kam schon in jungen Jahren an den Hof Ferdinands I. (1503–1564). Ferdinand I. stand zunächst im Schatten seines Bruders Karl V. (1500–1558), der 1520 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde. Ab 1526/27 stieg Ferdinand zum König von Böhmen, Kroatien und Ungarn auf und wurde 1531 – noch zu Lebzeiten seines Bruders Karl V. – zum römisch-deutschen König gewählt. So wird er auch in den drei Widmungen auf der Karte adressiert, während die „Königin Europa“ selbst eben diese geopolitischen Tatsachen reflektiert: Ihr gekröntes Haupt liegt in Spanien, ihr Herz jedoch schlägt in Böhmen, dessen König Ferdinand war. Auch die Insel Sizilien als Reichsapfel und Dänemark als Hand mit den Szepter sind als Verweise auf genealogische Verbindungen der Habsburger zu lesen.

Den Holzschnitt fertigte Jost Denecker (ca. 1485–1548) in Augsburg an, der schon für Kaiser Maximilian I. (1459–1519) tätig war und der als einer der Erfinder des Farbholzschnittes gilt.

Die "Klage Europas"

Doch nicht nur die Tatsache, dass die Retzer „Königin Europa“ älter als das bislang einzig bekannte Exemplar dieser Karte ist, macht sie so besonders. Unter der Karte befindet sich ein Gedicht, das ebenfalls von Johannes Putsch stammt und das – wie die Karte selbst – Ferdinand I. und seinem Bruder Kaiser Karl V. gewidmet ist. Diese „Klage Europas“ (Lamentatio Europae) war bislang nur aus einer im Jahr 1544 posthum in Basel erschienen Anthologie bekannt. Die Tatsache, dass Gedicht und Karte zusammengehören und einander ergänzen, lässt sich nun zum ersten Mal belegen. In ihrem Klagegedicht zählt die „Königin Europa“ vergangene und zeitgenössische Kriege auf und wendet sich hilfesuchend an die beiden Herrscher des Habsburgerreiches. Sie tritt als Hüterin christlich-abendländischer Zucht und Sitte auf, als bedrängte Frau, die in bedrohlicher Weise von Freiern umworben und auch zum Kauf angeboten wird.

Zu verdanken haben die Retzer diesen Schatz ursprünglich P. Ignaz Lamatsch (1797–1863), Bibliothekar und Archivar des örtlichen Dominikanerklosters, der die Karte 1838 zusammen mit anderen Gegenständen dem nur fünf Jahre zuvor gegründeten Museum Retz, einem der ältesten Stadtmuseen Niederösterreichs und auch Europas, gespendet hatte. Damit trägt die „Königin Europa“ auch zu einem Stück Lokalgeschichte bei, da sie einen weiteren Hinweis auf einen intellektuellen, aufgeklärten Kreis in den 1830er- und 1840er-Jahren in Retz gibt, der sich aus Bürgern und Mitgliedern des Klerus zusammensetzte und der bislang noch nicht erforscht worden ist.[1]

Die Retzer „Königin Europa“ im Stadtmuseum Retz wird anlässlich des Museumsfrühlings 2019 am 18. und 19. Mai erstmals den Besuchern präsentiert, zusammen mit einer Dokumentation von Thomas Draschan.

Text: Celine Wawruschka

 

Weitere Beiträge der Autorin zur Retzer „Königin Europa“ finden sich in der Tageszeitung Der Standard bzw. auf dem privaten Blog.

Abb. 1: Die Retzer „Königin Europa“. Kolorierter Holzschnitt, Augsburg 1534. Entwurf: Johannes Putsch (1516–1542), Ausführung: Jost Denecker (ca. 1485–1548) (Foto: © Museum Retz).


[1] Dieser „Retzer Kreis“ wird jedoch Teil der Abschlusspublikation des Projektes „MuseumsMenschen“ sein.