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Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

Piattis und Porzellan

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zerbrochenes Porzellan

Fast zwei Jahrhunderte lang sammelte die Familie Piatti Porzellan aus China, Japan und Europa. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wurden die Stücke zerschlagen. Bis heute wird die zerbrochene Sammlung im „Scherbenzimmer“ in Schloss Loosdorf aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

2023 kam die Sammlung in Bewegung: Dies ist nicht nur das Jahr der Rückkehr von Objekten nach einer Ausstellungstour durch Japan, sondern auch der Start des künstlerischen Forschungsprojekts „Broken Collection“ des Instituts für Konservierung und Restaurierung der Universität für angewandte Kunst Wien unter der damaligen Leitung von Gabriela Krist. Die Ausstellung zeigt neben den Scherben, die mit der Unterstützung des Projekts "ROIP – Reviving Old Imari Project at Loosdorf Castle" in Japan restaurierte Objekte. Diese waren von 2020 bis 2022 Teil einer Sonderausstellung im Okura Museum of Art in Tokyo ("The Tragedy of Loosdorf Castle") und weiterer Ausstellungen im Nationalmuseum Kyushu  und Aichi Prefectural Museum of Art.

 

Das künstlerische Forschungsprojekt „Broken Collection“ beschäftigt sich nun damit, wie man aus der Perspektive der Konservierung und Restaurierung, der Kunst und der Kunstgeschichte jenseits von ausgetretenen Pfaden mit der fragmentierten Sammlung umgehen kann.

Die Welt in einer Kiste mit Porzellan

Die Geschichte des Porzellans ist von Anfang an eine über ein international begehrtes Gut. Aus seiner Geburtsstätte China gelangte es im 16. Jahrhundert in die Kunstkammern Europas. Im 17. Jahrhundert startete die 1602 gegründete niederländische Ostindienkompanie (VOC) einen regen Handel, zunächst vor allem mit China. Wegen des dortigen kriegerischen Dynastienwechsels wurde der Import ab 1659 von Porzellan aus Japan abgelöst. Die VOC bestimmte, was geliefert werden sollte und schickte 1661 sogar Holzmodelle von Irdenware aus den Niederlanden als Vorbilder nach Japan. Diese Vorbilder wiederum  waren bereits von chinesischen Stücken beeinflusst. So fanden sich Formen unterschiedlichen Ursprungs eng mit einander verwoben in begehrten Kisten mit Porzellan, die um die Welt reisten. Die Sammlung in Schloss Loosdorf bildet bis heute diese globalen Verknüpfungen ab. Im Jahr 2020 fand sie ihren Weg nach Japan um dort teilweise restauriert und ausgestellt zu werden. Die Transportkisten müssen einst und jetzt über ein dichtes und gut durchdachtes Packsystem verfügen, sodass kein Stück auf seiner Reise beschädigt wird.

Blau, Weiß, Rot, Gelb, Gold

Nach Seladon und Weißware wurde in China ab dem 13. Jahrhundert Blauweißporzellan in großen Mengen hergestellt und ab dem 17. Jahrhundert in großen Mengen nach Europa exportiert. Zunächst imitierte man in Europa diese begehrten Porzellanprodukte mit sogenannten Fayencen, bei denen der naturfarbene Ton mit weißer Zinnglasur überzogen ist. Auch hier dominierte die blaue Bemalung. Um 1616 begann in der Region Arita in Japan die Porzellanherstellung. So wurde hier sowohl zunächst blau-weißes Porzellan nach chinesischem Vorbild hergestellt. Daneben wurden eigene Stile entwickelt, zum Beispiel ein charakteristischer flächiger Dekor in Dunkelblau, Rot, Gelb und Gold oder der „Kakiemon-Stil“, der sich durch eine freie Farbwahl mit asymmetrischen Kompositionen auf weißem Untergrund auszeichnet. Erst am 1708 war es auch in Europa möglich, Porzellan herzustellen und zwar in Dresden, 1710 wurde die Manufaktur in Meißen gegründet, 1718 die erste Konkurrenzmanufaktur in Wien. Die europäische Porzellanproduktion orientierte sich wiederum an japanischen und chinesischen Vorbildern.

Zusammensetzen was zerbrochen ist

Porzellanprodukte werden diese bereits seit hunderten Jahren „repariert“. Eine der ältesten Methoden ist das Zusammenheften der Scherben mit Metallklammern. Auf der Suche nach einer ästhetischeren Lösung soll im 15. Jahrhundert in Japan die sogenannte Kin Tsugi Methode entstanden sein: dabei wurden die Scherben mit Harz geklebt und die Bruchlinien vergoldet. Erst im 19. Jahrhundert führte man in Europa “künstlerische Reparaturen” durch, mit dem Ziel, Schäden unsichtbar zu machen. In der Folge entwickelte sich Im 20. Jahrhundert die Restaurierung als akademische Profession. Epoxidharz wurde zum üblichen Klebemittel für Porzellan und zum Bindemittel für die Rekonstruktion fehlender Bereiche. Die Bandbreite der möglichen Restaurierungsmaßnahmen kann in der Ausstellung nachvollzogen werden. Bei den meisten Objekten wurden im Sinne der „minimalen Intervention“ die Brüche und Fehlstellen sichtbar belassen und wenn notwendig eine Stützkonstruktion aus Acrylglas eingesetzt. Ausgewählte Objekte wurden ergänzt und retuschiert. Ein großer Teil der Sammlung besteht weiterhin aus Scherben und wird seinen fragmentarischen Charakter behalten.

Die Meissener „Elementvasen“

Bei den beiden Vasen der Sammlung handelt es sich um sogenannten Meißner „Elementvasen“. Die Vasen sind keine simplen Gefäße, sondern Skulpturen im Rokokostil, Repräsentanten einer neuen europäischen Porzellankunst des 18. Jahrhunderts.

Ihr Prototyp, ein fünfteiliger Vasensatz, wurde von Johann Joachim Kaendler 1741/42 angefertigt, und war als Geschenk des Kurfürsten August von Sachsen an den französischen König Ludwig XV. bestimmt. Bei der Fertigstellung der Vasen im Jahr 1742 war ein Geschenk jedoch bereits nicht mehr politisch opportun. August III. behielt die Vasen und ersetzte das Porträt des französischen Kaisers an der Mittelvase, die das Reich Frankreich darstellte, durch sein eigenes. Die beiden Vasen in der Sammlung von Loosdorf entsprechen der Vase mit dem Elemente Erde und eben jener Mittelvase. Das Medaillon hier zeigt jedoch weder August III. noch Ludwig XV.  Offensichtlich wurden bis ins 20. Jahrhundert nach den Modellen von Kaendler noch weitere Vasen mit unterschiedlichen Medaillons produziert. Die Datierung der Vasen in Loosdorf ist somit noch unklar.

Broken Collection – Zerbrochene Sammlung

Das FWF PEEK Projekt „Broken Collection“ des Instituts für Konservierung und Restaurierung der Universität für angewandte Kunst hat zum Ziel, mit künstlerischen Mitteln die Grenzen und Möglichkeiten der Konservierung und Restaurierung und der Kunstgeschichte zu erkunden. Ausgehend von der Frage, wie man die Geschichte der zerbrochenen Sammlung erzählen und sie in ihrem Zustand erlebbar machen kann, eröffnet sich ein Spannungsfeld zwischen Zerbrochenem und Vollständigem, Erhaltung und Zerstörung. Wann ist etwas „kaputt“, wann ist es „heil“? Was macht Gegenstände wertvoll? Verstellen Brüche und fehlende Stücke den Blick auf die Dinge oder ermöglichen sie neue Wahrnehmungen? Neben klassischen Methoden wie der konservatorischen Bestandsaufnahme und Recherchen zur Geschichte der Sammlung wird auch das Verhältnis zwischen Mensch und Gegenstand, von der Herstellung, über das Sammeln bis zur Zerstörung und Bewahrung, nachvollzogen. In einer Reihe von Workshops werden durch transdisziplinäre Zusammenarbeit mit künstlerischen Mitteln die Sammlung erforscht und neue Zugänge geschaffen. Die ersten Schritte im Projekt sind die Erforschung des geschichtlichen Hintergrunds und die konservatorische Bestandsaufnahme der Scherben.

 

Was tut sich im Scherbenzimmer?

Bestandsaufnahme                                    

An dem eingerichteten Arbeitsplatz im Scherbenzimmer erfolgt die Bestandsaufnahme der Sammlung – die Untersuchung und Dokumentation von Bruchstücken und Porzellanobjekten. Systematisch wird hier in einem ersten Schritt jede einzelne Scherbe gereinigt, fotografiert und in einer Datenbank vermerkt. Aufgrund dokumentierter Gemeinsamkeiten von Dekortechniken und -motiven können einzelne Objekte und Konvolute identifiziert werden. Diese Erschließung stellt die wichtigste Grundlage für die weiterführenden Arbeiten dar. Sie dient neben der kunst- und kulturhistorischen Einordnung der Sammlung dazu, Materialien und Herstellungstechniken zu verstehen sowie den Erhaltungszustand und Schadensphänomene analysieren zu können.

Konservierung Seidentapete

Nicht nur die Porzellansammlung selbst zeigt Spuren der Zeit, auch die Raumausstattung des Scherbenzimmers kommt in die Jahre. Der teils zerstörte Zustand bildet die Geschichte dieses Ortes ab und macht sein Alter erlebbar. Während diese Aspekte erhalten bleiben sollen, wird durch eine Konservierung dem weiteren Zerfall von Seidentapeten und farbig gefassten Holzelementen vorgebeugt. Es wird zu Material und Technik recherchiert und der Zustand erfasst. Die Schadensursachen und -mechanismen werden nachvollzogen und auch präventive Maßnahmen gesetzt, die dem Erhalt des gesamten Scherbenzimmers dienen.

Workshop 2023

Vom 28. August bis 8. September 2023 fand ein interdisziplinärer Workshop mit 27 internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur keramischen Produktion und Konservierung der zerstörten Porzellansammlung des Schlosses Loosdorf statt. Im Rahmen des Workshops entstanden auch künstlerische Arbeiten, die sich auf das sogenannte Scherbenzimmer bezogen.

Der Workshop begann im Schloss Loosdorf, wo die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Umgang mit den historischen Objekten der Porzellansammlung eingeführt wurden und grundlegende konservatorische Maßnahmen kennenlernten; später vertieften sie ihr Wissen bei einer Führung durch das Institut für Konservierung. Die unterschiedlichen Hintergründe der Workshopmitglieder führten zu einem regen Austausch über das facettenreiche Thema Keramik. Fragen zur Materialität und zu Herstellungsprozessen wurden erörtert und Techniken wie Modellieren, Drehen und Gießen von Ton, Steinzeug und Porzellan ausprobiert.
Die Wahrnehmung der Sammlung weckte persönliche, politische und ästhetische Assoziationen. Viele Anwesnde berichteten von intensiven Erlebnissen im Scherbenzimmer und seiner Geschichte. Die Ideenfindung für künstlerische Arbeiten erwies sich als zeitintensiv, wobei mehrfach der Wunsch nach einem sensiblen Umgang mit der Sammlung geäußert wurde, was eine Parallele zum konservatorischen Ansatz darstellte.

Die zerstörten Objekte der „Broken Collection“ haben aufgrund ihrer Geschichte einen besonderen Wert, der sich in ihrer Materialität ausdrückt. In einigen künstlerischen Projekten spielten die originalen Scherben eine zentrale Rolle und konnten nicht durch Faksimiles ersetzt werden.

Bestandsaufnahme mit Studentinnen und Studenten

Im Juli 2024 wurde die Bestandsaufnahme des Scherbenzimmers mit einer Gruppe internationaler Studentinnen und Studenten fortgesetzt. Der Vorgang war derselbe wie schon zuvor im Kapitel Bestandsaufnahme erwähnt.

Workshop 2024

Vom 26. August bis 29. August 2024 veranstaltete das Institut für Konservierung und Restaurierung, Universität für Angewandte Kunst Wien ein internationales Seminar zum Thema Keramik -und Porzellankonservierung. Der Workshop beschäftigt sich mit der zerstörten Porzellansammlung von Schloss Loosdorf. Studierende der beiden Restaurierungsprogramme der Angewandten bearbeiteten gemeinsam mit internationalen Experteninnen und Experten aus Italien und Ungarn in Gruppen Keramik- und Porzellanobjekte und diskutierten aktuelle Möglichkeiten der Konservierung und Restaurierung.

Text: Paul Schubert, Projektmitarbeiter
Universität für angewandte Kunst Wien, Institut für Konservierung und Restaurierung

Das "Scherbenzimmer" kann auch weiterhin in Schloss Lossdorf (Bezirk Mistelbach) von Mai bis Oktober nach Voranmeldung (min. 5 Personen) besichtigt werden. 

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