Die 1920er-Jahre – eine dynamische Zeit
Einige unserer Museen und Sammlungen beherbergen Zeugnisse aus dieser Zeit – Dinge und Dokumente, die eindrucksvoll den Alltag der Menschen widerspiegeln. Wir wollten anlässlich des Jubiläumsjahres wissen, was genau aus den 1920er-Jahren in den Museen Niederösterreichs noch vorhanden ist, und haben einen Aufruf gestartet, uns Sammelbestände zu melden. Die virtuelle Ausstellung ist nun online und wird laufend erweitert. Die Objekte aus dem Jahrzehnt zeigen bereits die unterschiedlichsten Lebenssituationen und lässt uns in das Niederösterreich vor 100 Jahren eintauchen:
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs versuchten die Menschen in ganz Europa einen Neuanfang in Politik, Gesellschaft, Kultur und Freizeit. Es war eine Zeit voller Gegensätze zwischen existenzieller Not, sozialen Umbrüchen, technischer Entwicklung und dem Bedürfnis nach Unterhaltung. Eine neue Kultur der Schnelligkeit ergriff das Leben vieler Menschen: Rationalisierung der Arbeit, Beschleunigung der Kommunikation und Aufbrechen der Rollenbilder kontrastierten das politisch aufgeladene Klima.
Arbeit und Mobilität
Das Briefpapier zeigt das weitläufige Areal der Kunstmühle R. Gutscher in Traismauer und damit die fortschreitende Industrialisierung in Niederösterreich. Der genannte Walzenführer und Mehlfasser Albert Dewina wurde in Kitzbühel, Tirol, geboren – ein Zeichen für die hohe Mobilität der Arbeiterschaft. Er hat übrigens zur vollsten Zufriedenheit der Firma gearbeitet.
Informations- und Massenmedien
Zeitungen spielten als Informationsquelle der Bevölkerung und als Massenmedium mit explodierend hohen Auflagezahlen eine außerordentliche Rolle. Neben den Tageszeitungen wurden auch Fachblätter für beinahe jegliche Branche herausgegeben, wie etwa die „Österreichische Bäcker-Zeitung“. Parallel dazu entwickelten sich in den 1920ern völlig neue Medien wie Rundfunk und Film.
Sportwettkämpfe und gemeinsame Sporterlebnisse
Sportwettkampfe, wie Autorennen oder Boxveranstaltungen, wurden in den 1920ern zu riesigen Spektakeln vor großem Publikum. Das gemeinsame Sporterlebnis hat auch zu einer Vielzahl an Vereinsgründungen geführt.
Im Zuge des Gründungsfestes des Radfahrvereins Wilfersdorf und Umgebung am 14. April 1922 wurde ein Erinnerungsfoto aufgenommen. Auf der Rückseite werden alle Personen genannt: Männer mit ihren Berufen, wie Bauer, Friseur, Schneidermeister und Sattler, aber auch Frauen sind sportlich im Verein aktiv, wie etwa die Kaufmannstochter Mitzi Hinerth.
Das Frauenbild ändert sich
Frauen trugen kurze Frisuren und Kleider ohne Mieder, waren auffallend geschminkt und wurden mit neuem Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Der Künstler Rudolf Podany bildet die neuen Modetrends deutlich in seinen Keramikmasken und Figuren ab, zu sehen im Geschichtlichen Museum der Stadt St. Valentin. Die handgefertigten Damenschuhe mit Stöckel und genagelter Sohle entsprechen dem neuen Modestil der 1920er und laden zum Tanzen ein. Sie stammen von Frau Schönhacker und befinden sich heute in den Sammlungen des Museums Horn.
Große Hungersnot und Entbehrungen
Von einer nicht sehr goldenen Zeit zeugen die Druckstöcke für Notgeld der Stadt Retz. Der 10 Heller Druckstock stammt vom 15. Juni 1920 und neben eingeprägten Weinranken, dem Rathaus und dem Schloss Gatterburg ist zu lesen: "DU ALTE STADT BEKRÄNZT VON EDLEN REBEN VERZAGE NICHT, DA FEINDE DICH UMGEBEN:" und "DEIN KÖSTLICH NASS GIBT TROST UND MUT DEUTSCH BLEIBT DER SINN DAS HÖCHSTE GUT".
Die Nahrungsknappheit wird durch die Vielzahl an Lebensmittelkarten sichtbar, wie die Zuckerkarte für den August 1920 aus dem Museum Retz. Die Lebensmittelrationierungen umfassten auch Fett-, Mehl und Brotkarten mit genauen Rohstoffangaben oder auch Zuckerzusatzkarten für Schwangere, stillende Mütter und Kinder bis zu 6 Jahren. „Diese Karte ist unübertragbar und nur in Niederösterreich gültig."; darunter Abgabe- und Strafbestimmungen; gezeichnet "N. ö. Landesregierung."
Technische Entwicklungen
Technische Errungenschaften werden auch für die lokale Bevölkerung erschwinglich und erleichtern die häusliche Arbeit. Die Holzbottichwaschmaschine Triumph mit einer handbetriebenen Zentrifuge bewegte die Wäsche über eine Kurbel im Holzbottich, wodurch sie nicht mehr per Hand umgerührt werden musste. Der Wasserverbrauch lag bei ca. 100 Liter und die Handhabung war sicherlich noch beschwerlich. Später wurde von Miele, dem ersten Bottichwaschmaschinen Hersteller, ein Elektromotor als Zusatz entwickelt, mit dem die Waschmaschine über einen Treibriemen verbunden war.