♪ Der Himmel voller Drehorgeln ♪
Oliver Maar ist Österreichs einziger professioneller Drehorgelspieler. Nun hat er in Gars am Kamp ein Schaudepot mit mechanischen Musikinstrumenten eröffnet – das Wunderwerkel.
Hier nimmt ein ganzes Orchester Platz. Es wird von einem einzigen Menschen gespielt, arrangiert und dirigiert. Immer zur Hand hat Oliver Maar seine Drehorgel, die ihn seit Jugendtagen begleitet, sowie ein bis zwei Kisten mit Lochkarten. Sie sind das Notenmaterial. Als Draufgabe dreht er dann ein Ariston oder eine selbstspielende Mundharmonika, lässt von Zauberhand die Klaviatur eines Pianos perlen, geht mit Trompetenschall einer Jahrmarktsorgel ins Finale furioso. Die silberhellen Töne der Spieluhren gibt’s zum Drüberstreuen.
Oliver Maar weiß seit seiner Kindheit, was er will: Drehorgel spielen. Die Initiation dazu war ein Wiener Werkelmann, die Umsetzung im elterlichen Haus in Perchtoldsdorf begann früh:
„Ich habe geheim gespielt. Ich habe meinen Gehrock angezogen, bin spätabends aus dem Haus geschlichen.“
Oliver Maar
Dann drehte er auf Perchtoldsdorfs Gassen die Kurbel und wurde von der Gendarmerie aufgegriffen. Damals war Oliver Maar 15 Jahre alt. Als er begann, elterliche Plattencover zu zerschneiden, um mit einem Stanleymesser Lochkarten herzustellen, verstanden die Eltern, dass er es ernst meinte. Der Vater fuhr mit dem Sohn nach Avignon, wo er seine erste Drehorgel bekam. Es ist jene aus hellen Hölzern, die sein Leben begleitet.
Wunderwerkel – das Schaudepot
Es ist nicht bei einer Drehorgel geblieben. Seit kurzem hat der Werkelmann – so die österreichische Bezeichnung für Drehorgelspieler – in Gars am Kamp sein Depot öffentlich zugänglich gemacht. Im ersten Stock eines Garser Traditionskaufhauses hängt der Himmel voller Drehorgeln. Auf hunderten Quadratmetern stehen 140 mechanische Musikinstrumente: Drehorgeln, selbstspielende Pianos, ein Musikautomat, die ersten „Plattenspieler“, Jahrmarktorgeln sowie weitere hunderte Spieldosen, Dampfmaschinen, mit denen allerlei tönende und bewegliche Szenerien betrieben werden.
„Wunderwerkel“ heißt das Schaudepot folgerichtig. All diese mechanischen Musikinstrumente werden entweder von Muskelkraft, Dampf, Federwerk oder Gewichten (wie bei einer Pendeluhr) angetrieben. Eine Drehorgel mit elektronischem Innenleben hat er zu Schauzwecken auch aufgestellt.
Dazu kommen tausende Lochkarten, geschlichtet in Regalen, die von der Decke bis zum Boden reichen. Diese werden auf der einen Seite einer Drehorgel eingelegt, auf der anderen Seite wird durch das Kurbeln im Blasebalg Luft erzeugt und strömt in die Pfeifen. Das Notenband steuert die Luftzufuhr in die Pfeifen, wodurch die Melodien erklingen. Oliver Maar gehört zu den wenigen, die diese Lochkarten noch selbst stanzen können. Das bedeutet drei Wochen Arbeit für drei Minuten Musik. Ohne jemals Noten lesen gelernt zu haben, setzt er Musik in das Lochkartensystem um und überrascht sein Publikum mit Metallica oder Samba, mit arabischen Klängen, Barockmusik oder Jazz.
Eine Drehorgel ist keine Kaffeemühle
Wenn Oliver Maar die Drehorgel zu spielen beginnt, zieht der schmale Mann, der beinahe dahinter verschwindet, mit seiner raumgreifenden Präsenz sein Publikum in den Bann. Er pfeift und singt dazu, er unterstreicht die Musik mit Mimik und vor allem mit dem für Wien einst typischen „eckat’n Drahn“, dem Verzögern des Kurbelschwungs bei einem Walzer, dem Anschieben bei einer Polka; kurzum, er zaubert aus dem mechanischen Instrument seine individuelle Musikalität hervor.
Eine Führung durch das Schaudepot in Gars am Kamp ist nicht nur eine Zeitreise, es ist ein Einblick in die Welt der mechanischen Musikinstrumente und in das Alltagsleben der Werkelmänner. Drehorgeln, die seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts in ganz Europa gespielt wurden, waren vorerst mit Stiftwalzen bestückt, so, wie die meisten Spieldosen bis heute funktionieren. Erst durch die Entwicklung der Lochkarten konnte das Repertoire mühelos getauscht werden. Zwei Klassen von Drehorgelspielern entstanden. Die einen waren die Kriegsinvaliden, die eine Konzession erhielten, um sich mit dem Werkel ein wenig Geld zu verdienen. Das „Sandlerwerkel“, wie man in Wien sagte, hatte nur ein Register. Für diese gab es Verleihstellen, an die der Löwenanteil des Erspielten gleich wieder abzuliefern war. Die anderen Spieler sahen sich als Musiker, hatten Drehorgeln mit drei, vier oder fünf Registern und waren dementsprechend präsent im Stadtbild.
„In Wien stand immer die Musik und nicht das Äffchen im Vordergrund.“
Oliver Maar
Drehorgelspieler führten manchmal ein Äffchen mit sich, das zusätzlich Aufmerksamkeit erregte und heute in der Plüschvariante bei Werkelmännern anzutreffen ist. Die großen Drehorgeln benötigten einen zweiten Mann, der die Drehorgel zog und auch das Geld absammelte. Der Verfasser der humoristischen „Jörgel Briefe“ (Ausgabe 6. Juni 1853) schreibt:
„Die Künstler haben heut zu Tag gar ein edles Selbstbewußtsein. Da ist neulich in ein Haus auf dem Schottenfeld ein Werkelmann kommen, der hat grad die ,Tell-Ouvertür’ g’werkelt, wie in einer zu ebener Erde gelegenen ebenerdigen Parterre-Wohnung eine Gattin ihrem Gatten ein’ Tanz g’macht hat, weil er um ¾ auf 11 erst vom Heurigen z’Haus kommen is. Auf einmal hört der Werkelmann zum Werkeln auf, tritt an’s Fenster und schreit hinein. ,I muß um Ruh bitten, wann i was vom Rossini aufführ!‘“
Es waren die Drehorgelspieler, welche die Musik der Oper zu den Menschen brachten.
Salonwerkel & selbstspielende Mundharmonika
Mechanische Musikinstrumente ermöglichten es, zu Hause Musik zu spielen, ohne ein Musikinstrument zu beherrschen. Einerseits gab es die Salonwerkel, die von Bediensteten beim Abendessen gespielt wurden.
Ein Leipziger Instrumentenbauer baute 1881 eine Mini-Drehorgel, das Ariston, auf der gelochte Pappplatten aufgelegt und durch Kurbeln abgespielt werden konnten. Der erste Plattenspieler war erfunden. Von diesen hat der Sammler Oliver Maar besonders schön gearbeitete Exemplare.
Neben den selbstspielenden Klavieren, die per Knopfdruck auch händisch gespielt werden können, ist ein amerikanisches Kleininstrument ein weiteres Gustostückerl der Sammlung. In die selbstspielende Mundharmonika aus Bakelit wird geblasen, während man mit einer kleinen Kurbel die Lochkarten dreht. Die Rollmonica aus Baltimore wurde zwischen 1928 und 1931 ebendort hergestellt. Oliver Maar holt aus ihr Erstaunliches hervor: „Für sie habe ich Barockmusik gestanzt.“
Gleich wo der einzige professionelle Drehorgelspieler Österreichs auftritt, ob auf der Straße oder im Wiener Musikverein, bei Festivals oder privaten Feiern: Er und seine Drehorgeln sind ein Gesamtkunstwerk.
Text: Mella Waldstein
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin Schaufenster Kultur.Region, Ausgabe 2/2025:
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♪ Musik in den Museen ♪
In den niederösterreichischen Regionalmuseen befinden sich einige Lochkarten, Harmonien und technische Musikinstrumente im Bestand, stöberen Sie selbst: