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Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

Daisys Zukunft

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Porzellan und Steingut prägten die Geschichte von Wilhelmsburg. Das ehemalige Fabriksgelände versammelt nicht nur unwiederbringliches Wissen. Hier denkt man Museum als lebendiges Gesamtkunstwerk, das Handwerk als Basis für Unabhängigkeit in die Zukunft trägt.

Vanillepuddinggelb, Hellrosa, Mintgrün, Babyblau und Lavendel – sehen wir das pastellfarbene Lilienporzellan in seiner typisch konischen Form vor uns, schlägt das Nostalgie-Pendel heftig aus. Viele erinnert es an den Sonntagskaffee bei der Oma. Schließlich ist das Daisy-Service der Inbegriff der Nachkriegsgeneration. Dabei sind andere Formen Wilhelmsburger Ursprungs designmäßig weitaus interessanter, zum Beispiel die elegante Form Corinna – in der alten asiatischen Traditionsfarbe Seladongrün.

Der akademische Keramiker Fritz Lischka entwarf die Geschirrform 1959. Die österreichische Keramik AG präsentierte sie auf der Triennale di Milano. Doch die Teekanne ging nur in geringen Stückzahlen und für kurze Zeit in Anfertigung. Denn die dünnwandige Form eignete sich nicht für die Massenanfertigung. Da ging auf den Förderbändern viel zu Bruch. Warum ist die Teekanne Corinna für zeitgenössische Keramiker dafür umso wichtiger? — Nun, sie zeigt dieses Spannungsfeld, die Diskrepanz zwischen Design und Massenproduktion. Und: Sie ist ein Lehrstück für die Modellentwicklung der Gegenwart.
 

Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Wirtschaftsstandort Niederösterreich". In dieser sammeln und zeigen wir Museumsobjekte aus der Wirtschafts- und Industriegeschichte des Bundeslandes und lassen sie erzählen: Entdecken Sie Firmen, die von weltweiter Bedeutung waren; Produkte, die man heute kaum noch (er-)kennt; Persönlichkeiten mit Einfallsreichtum und sozialem Engagement, und und und... Wir wünschen viel Freude beim Schmökern in unserer digitalen Ausstellung!

Nach dem digitalen Schmökern ab ins Wilhelmsburger Geschirr-Museum

Manfred Schönleitner, Geschäftsführer und Direktor des Wilhelmsburger Geschirr-Museums, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die alte Fabrik Stück für Stück zu restaurieren und neu zu beleben. Der erste adaptierte Raum ist nicht zufällig ein Keramik-Studio, in dem Kurse und Symposien für Studierende und Keramikinteressierte stattfinden. Das Museum arbeitet mit der New Design University in St. Pölten zusammen. Sämtliche Rohstoffe wie Gips, Tonerde und Kaolin stellt die Unternehmensgruppe Laufen zur Verfügung. Sie hat hier zwar noch ihren österreichischen Sitz, aber die Produktion im Frühjahr eingestellt.
Schönleitner ist es wichtig, von Anfang an das aktuelle Handwerk einzubinden, um das immaterielle Kulturerbe in die Zukunft zu tragen. Da finden auch grundsätzliche Fragen ihren Platz: Was will man als Künstler? Was will man als Handwerker? Was will die Gesellschaft? Müssen wir überhaupt auf Massenproduktion setzen? Und zu welchem Preis?

 

Industrieller Hotspot im Traisental

 

Seitdem die Menschen das Wissen besitzen, wie aus weichem Ton hart gebrannte Gefäße, Kacheln, Klinkerplatten und Figuren gefertigt werden können, haben sie Zeugnisse ihrer Kulturen hinterlassen. Heute liefern keramische Fundstücke des Töpferhandwerks wichtige Erkenntnisse zur Sozial-, Kunst- und Kulturgeschichte der Menschheit.

Tritt ein Museum in seiner Funktion als lebendiges Archiv an Wissbegierige heran, kann es sein Kulturgut in das gegenwärtige Schaffen einbetten und in kommende Zeiten hinüberretten. Eine Geschichte darüber wird in Wilhelmsburg erzählt.

Alles beginnt in der Winckhlmühle, dem ältesten Teil des 100.000 Quadratmeter großen Fabriksgeländes. Der Mühlbach zur Wasserkraftnutzung fließt unter dem Haus durch, der nahe Bezirk Lilienfeld ist besonders waldreich, in der Gegend rund um Oberwölbling wird Ton und Lehm abgebaut. Dass die Bedingungen ideal sind, erkannte man schon vor 1795, als die Manufaktur ihren Anfang nahm. Töpfern hatte in der Region bereits vor der Industrialisierung eine lange Tradition. Ende des 19. Jahrhunderts baute die Wiener Kaufmannsfamilie Lichtenstern den Betrieb geschickt zum industriellen Hotspot im Traisental aus. Die geschichtliche Stadtentwicklung ist untrennbar damit verbunden. Der Name Lilienporzellan bezieht sich auf das Stift Lilienfeld und die drei Lilien im Wappen von Wilhelmsburg. Die Stadt wuchs rund um das Areal. In Spitzenzeiten arbeiteten 800 Menschen für die ÖSPAG. Der Name steht für Österreichische Sanitär-Keramik und Porzellan-Industrie AG und das verweist schon auf die Vielseitigkeit: Porzellan und Keramik.

„Steingut – das ist das Porzellan für den kleinen Mann.“ so sagt man. Töpfereien in Shaffordshire entwickelten es um 1720 aus weißem Ton und Quarzmehl. Bald erlangte die neue Technik über England hinaus Bedeutung – nämlich als Josiah Wedgwood es mit Kaolin Porzellan-ähnlicher machte. „Man bekommt einen fast genauso schönen Scherben und konnte relativ dünnwandig arbeiten", erklärt Schönleitner. Die NDU-Studentin Maria Scharl erkannte: „Keramik zeichnet sich durch ihre Härte, Druckfestigkeit und die nahezu endlose Formbarkeit aus."
Bei der Keramikproduktion bleibt ein Restbestandteil an Handwerksarbeit übrig. Für die industrielle Fertigung wandern die Unternehmen in Länder ab, wo die Arbeitskraft günstiger ist. Für das einzelunternehmerische Gestalten gibt es hingegen dadurch einen Vorteil: Gestaltung und Produktion brauchen nur einem minimalen infrastrukturellen Rahmen. „Einen Brennofen und eine Scheibe – und das ist alles. Also du kannst als Keramiker mit 10.000 Euro voll durchstarten”, sagt eine Keramikerin, die die Studierenden für ihr Forschungsprojektinterviewten.

Steingut und Porzellan vermählt

Magdalena Manigatter überdachte während des Semesters Materialeigenschaften. „Das Schaudepot zeigte die einzelnen Epochen und deren ikonische Designs auf. Keine vorhandene Produktlinie kombinierte jedoch die beiden, in der Fabrik einst verwendeten Materialien: Steingut und Porzellan. Ich hinterfragte, weshalb es noch keine Linie aus dem Gemisch gab und entschied mich, dieser Frage auf den Grund zu gehen, indem ich ein Experiment mit den beiden Materialien startete", erläutert die Studentin. Überraschenderweise harmonierten die zwei Materialien trotz unterschiedlicher Eigenschaften sehr gut. Beinahe unabhängig von den Mischverhältnissen entstanden gleiche Formen ohne grobe Deformierungen. Bei erhöhtem Steingutanteil besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Verformungen, erkannte Manigatter. Außerdem lernte sie, dass eine schichtweise Verarbeitung der beiden Materialien kaum möglich ist. „Steingut und Porzellan haben unterschiedliche Schwingungen und das führt zu Spannungsrissen. Aber selbst diese Risse können zu einem interessanten Erscheinungsbild beitragen", findet die Designerin.

Um die Formen herzustellen griff sie auf das Schlickergussverfahren zurück. Es ermöglicht mit geringen Mitteln das Produzieren einer Kleinserie. Sie baute ein Gips-Negativ, in das anschließend das Porzellan-Steingut-Gemisch geleert wurde. „Je länger die Flüssigkeit in der Form ist, desto dicker wird auch die Wandstärke des Objektes. Möchte man schichtweise Arbeiten, wiederholt man den Prozess", erklärt Manigatter. Das Projekt entwickelte sich demnach aus der Frage: Welches Wissen, welche Erfahrung habe ich in Wilhelmsburg nicht gefunden? „Genau diese Absenz ermöglichte mir, ohne Ängste oder Befürchtungen in das Projekt zu starten und etwas Neues, dem Zeitgeist gerechtes, zu schaffen", erzählt die Künstlerin. 
 

Welche Zukunft hat die keramische Produktion in Österreich?

Das Wissen, das über Generationen von Wilhelmsburgern weitergegeben wurde, geht rasch unweigerlich verloren. 225 Jahre lang wurde hier durchgehend produziert. Einst werkelten Siebdrucker, Maler und Maurer hier. Es gab eigene Tischler und eine Schlosserei. So mancher Wilhelmsburger begann seine Keramiker-Lehre im Alter von 15, 16 Jahren und verbrachte sein gesamtes Berufsleben in der Modellstube. Um die Jahrhundertwende war das Unternehmen mit dem Standort in Wilhelmsburg, aber auch in Znaim und Teplitz die größte Steingutfabrik der K&K Monarchie.

Vor 23 Jahren schloss die Lilienporzellan-Manufaktur. Die Laufen Austria AG stellte die restliche Produktion im Frühjahr 2020 ein. Welche Zukunft hat die keramische Produktion in Österreich?

Manfred Schönleitner denkt Museum als Gesamtidee. Er kämpft gegen das Vergessen des Keramikhandwerks und will aus der gelernten Geschichte für die Zukunft etwas bewirken. Die nächsten Generationen sollen auf dem Basiswissen aufbauen können, lautet sein Wunsch. Die ehemalige Geschirrfabrik in Wilhelmsburg dient den Studierenden als gedankliches und reales Versuchsfeld. Wenn die Fabrik wieder zum Leben erwachen würde, was könnte dort heute produziert werden? Und inwieweit kann Gestaltung – auch im erweiterten Sinne des Begriffs – zum Erfolg des (Wieder-)Aufbaus beitragen? Welchen Stellenwert nehmen Gestaltung und handwerkliche Arbeit dabei ein?
 

Farbenfroher Stilbruch

Der ehemalige Eigentümer und Firmenchef Kurt Lichtenstern kam als Conrad Lester aus Amerika zurück in seine Heimat. Er musste vor den Nazis fliehen und seinen Namen ändern. Unter der russischen Besatzung wurde ohne jegliche Werbung und in düsteren Farben, nämlich Schwarz, Braun und Dunkelbraun, produziert. Die Marketingstrategien, die Lester aus Los Angeles kannte und der positiv-denkende American way of life kamen als pastellfarbener, farbenfroher Kontrast hervorragend an. Sie trafen das Gefühl der Zeit. Der Blick der Österreicher war nach Amerika gerichtet. Die neue Optik grenzte sich zum Stil, den Hitler propagierte ab. „Er hat abstraktes Art Deco als entartet verbannt und ist zu diesen Majoliken, die Landschaftsmotive, Bäuerliches Hab und Gut übergegangen. Diesen Ballast wollte man nach dem Krieg abwerfen. Das hat Lester richtig erkannt.", schildert Schönleitner beim Rundgang durch das Schaudepot.

 

Vom Reiz des Sammelns

„Jeder Teil einzeln erhältlich" verhieß damals die Reklame. So konnte man sich selbst mit bescheidenem Einkommen ein Stück leisten. Oft gab es das Basis-Set aus Aussteuer zur Hochzeit. Für jedes Kind und zu jedem Anlass erweiterte man das Service um einen Teil. Vom Reiz des Sammelns handelt auch Katharina Partiks Projekt. Die NDU-Studentin erdachte vier Grundformen aus Gips, die auf der konischen Form der Daisy-Melange-Tassen basieren. In 128 unterschiedlichen Varianten können sie aufeinandergestapelt und immer neue Stücke gegossen werden. „Die Serie 128 basiert auf der Formensprache des bekannten Daisy Services. Die Kegelstumpfform der Tassen wurde übernommen und geringfügig abgeändert. Die Farbpalette habe ich bewusst abgegrenzt. Trotzdem harmonieren Farben sehr gut miteinander", sagt sie. Der Kurs hat ihr gezeigt, wie wichtig der Austausch zwischen traditioneller Manufaktur und jungem Künstlertum sei.

 

Wissen macht unabhängig

„Ob die Gebäude der Geschirr- und Keramikfabriken in Wilhelmsburg in absehbarer Zeit nach Handwerksbetrieben, Manufakturen, Fabriken, Museen und Lehrwerkstätten neue keramische Identitäten in ihren Räumen beherbergen werden, wird die Zeit weisen. Die Möglichkeit dazu besteht!" meint Stefan Moritsch, Designer und Leiter des NDU-Studiengangs „Design, Handwerk und materielle Kultur".

Manfred Schönleitner ist dabei unermüdlich am Dazulernen und Planen. Viele historische Dokumente sind verloren. Die Nationalsozialisten räumten die Villa der jüdischen Familie Lichtenstern und verbrannten alle Aufzeichnungen.
Heute dokumentiert eine wissenschaftliche Mitarbeiterin im Geschirrmuseum die Sammlung. Um die Objekte zu bestimmen, muss man die Bodenmarken kennen. Eine Logo-Änderung bedeutete meistens: Veränderung der Besitzverhältnisse, des Produktionsorts und des maschinellen Besatzes.

 

„Der Fundus ist für die heutigen Designer brauchbar. Sie sehen, wie modelliert wurde und warum bestimmte Formen trotzdem nicht über das Stadium eines Prototyps hinauskamen."

Manfred Schönleitner

Lisa Berger und Alina Miklau inspirierten die Wandteller. „Was für eine schöne und wertvolle Tradition! Dennoch ist sie aber in ihrer Ursprünglichkeit und mit ihren Motiven meist nicht mehr zeitgemäß. So war das Ziel unserer Arbeit schnell gefunden." Bei der Glasur übernahmen sie die Technik aus zwei Dekoren: die Spritzgusstechnik der 1930er und die Alpenflora oder auch Alpenland genannte Porzellanserie. Vergrößerte Detailausschnitte sollen aktueller wirken.

Rosa Hofegger hat in den 1950er Jahren hier das Malen gelernt. Sie hat eine unglaubliche Qualität an den Tag gelegt und schriftlich festgehalten, was sie erkannt hat: Warum sie etwas so macht, wie sie es macht. „Das ist ja genau das Geheimnis und die Schlüsselfunktion des Hauses", findet Schönleitner, „es verschwinden aus den Tälern viele Berufe. Unter anderem jener des Keramikers mit dem Untergang des Lilienporzellans und jetzt da die Firma Laufen die Produktion beendet hat. Dieses Wissen geht verloren und damit machen wir uns in der Zukunft von anderen abhängig." Er plädiert dafür, den wissenschaftlichen Wert dieser Unterlagen zu erkennen und sie aufzuarbeiten. Warum geht jener Pinsel besser als der andere – hat man so ein wichtiges Quellenwissen nicht, ist man auf Sekundärliteratur angewiesen, muss etwas neu erfinden oder sich auf andere verlassen. „Wir waren einmal Weltmarktführer in vielen Gebieten. Jetzt stellt Österreich in Krisenzeiten fest, dass wir nicht einmal ein Gummiringerl herstellen können“, bedauert Schönleitner. Wissen macht unabhängig!
Die wenigen Mappen mit Rezepturen dienen als geheime Zeugen, wurden doch die berühmten Pastellfarben nach einer eigens konzipierten Rezeptur mit eigenen Mühlen, eigenen Rohstoffen und eigenem Verfahren nirgendwo sonst auf der Welt hergestellt. Nur hier in Wilhelmsburg. Vanillepuddinggelb, Hellrosa, Mintgrün, Babyblau und Lavendel,...

Text: Juliane Fischer

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