DE
Museumsmanagement Niederösterreich, Foto: Katrin Vogg

Archäologe der eigenen Geschichte

Alle ArtikelDIPkatalogMuseumsarbeit

Richard Edl ist Sammler aus Leidenschaft. Nicht für sich, sondern für alle sammelt er seit über 40 Jahren volkskundliche Stücke seines Heimatdorfes. Vorbildlich inventarisiert und nun auch digital erfasst, zeigt dieser Bestand, welche wichtige Rolle Sammlerinnen und Sammler bei der Bewahrung und Vermittlung unserer Alltagskultur spielen.
Hier erzählt Richard Edl die Geschichte seiner Sammeltätigkeit – und damit auch die seines Lebens. 


Sammeln als Lebensaufgabe

Zum Sammler wird man geboren, ist Richard Edl überzeugt. Und auch, dass dies ein Segen genauso ist wie eine Fracht. Er jedenfalls wusste schon als Kind, dass er gerne sammelte. Zuerst waren es Briefmarken, dann Insekten. 

Als seine Eltern ein altes Bauernhaus kauften, durfte er darin zwei, drei leerstehende Räume als eigenes Reich nützen und es war um ihn geschehen: Richard Edl erlag der "Faszination altes Haus".
In einem der Räume entdeckte er einen überstrichenen, beschnitzten Holztram, kratzte die Farbschicht ab und entdeckte eine Datierung: "Das war wie der Eintritt durch ein Zeitportal in eine andere Welt. Und von da an wollte ich wissen, wie war das Leben im Dorf früher, welche Spuren gibt es davon noch, was ist nicht mehr da?"

"Ich bin als 18-, 19-Jähriger zu den Leuten gegangen und habe gefragt, ob ich die Sachen haben kann. Das war schon sehr ungewöhnlich, aber ich durfte auf die Dachböden, in die alten Kammern, mir wurden die Sachen geschenkt.

Ich wollte nie besitzen, sondern die Stücke ihre Geschichte und damit die Geschichte des Dorfes erzählen."

 

Sammeln ist Verantwortung

Die Sammlung an volkskundlichen Gegenständen entstand vorwiegend in den 1980er und 1990er Jahren als meine Privatsammlung. Die Sammeltätigkeit war immer fokussiert auf mein Heimatdorf Altlichtenwarth im nordöstlichen Weinviertel. Es wurde nicht thematisch, sondern mit Blick auf das Dorf gesammelt, und zwar in der sich bietenden Bandbreite dörflicher museumsrelevant erscheinender Hinterlassenschaften bis in die 1940er Jahre.

Neben den volkskundlichen Objekten wurden systematisch Altfotos aus dörflichem Privatbesitz gesammelt und dokumentiert, die in mehreren Publikationen (R. Edl (Hg): Altlichtenwarth. Pfarr- und Alltagsgeschichte, Eigenverlag 1993; R. Edl: Östliches Weinviertel. Alltag im Dorf. Sutton Verlag 2003) Verwendung fanden und auch dem Weinviertler Museumsdorf Niedersulz seit vielen Jahren als Bildmaterial zur Verfügung stehen. Außerdem wurden Dokumente und schriftliche Hinterlassenschaften aus dörflichem Privatbesitz zusammengetragen, die als wichtiges Material für die Erstellung der Ortsgeschichte Verwendung fanden (Altlichtenwarth. Pfarr- und Alltagsgeschichte s.o.).

"Die fast immer durch Schenkungen in die Sammlung gelangten Objekte wurden mir in dem Vertrauen überlassen, dass sie einem öffentlichen bzw. musealen Zweck dienen werden. Es sollte keine Sammlung sein, die nur im Privatbesitz existiert und niemandem zugänglich ist. Diese Absicht hat es von Anfang an gegeben.

Die Sammlung sollte einerseits als Beitrag zur Identitätsfindung des Dorfes/ der Region zur Verfügung stehen, andererseits auch, um Freude daran zu haben."

Erste Ausstellung und Museumsgründung

Im Jahr 1981 organisierte ich erstmals eine Präsentation des bis dahin gesammelten Bestandes in den Räumen des alten Nachbarhauses meiner Eltern in Altlichtenwarth, Hauptstraße 38. Mein Vater war nicht ganz so begeistert: "Du trägst zusammen, was andere wegwerfen wollen.“ Dennoch: Die Ausstellung fand im Dorf große Resonanz, eine dabei durchgeführte Spendenaktion für die Renovierung des örtlichen Kaiser-Franz-Josef Denkmals brachte den beachtlichen Betrag von öS 5000.- ein.

Ich hatte zuvor bereits im Weinlandmuseum in Asparn an der Zaya ehrenamtlich mitgearbeitet. Diese Zeit war sehr prägend für mich. Mit dieser Ehrfahrung wurde ich Mitglied im Verein des Weinviertler Museumsdorfs Niedersulz, zu einer Zeit, als dort gerade das zweite Haus in Bau war. Prof. Josef Geißler kam auf mich zu mit den Worten "Brauchst eh nicht viel tun. Ich brauche nur einen Namen für die Vereinsliste." So bin ich seit 42 Jahren aktives Vereinsmitglied. Ich vermute, dies kommt vielen anderen auch bekannt vor! 

Der nächste Schritt war die Gründung eines Heimatmuseums, zu der sich ein Verein gebildet hatte. In den Jahren 1986 bis 2006, also über einen Zeitraum von 20 Jahren, bestand in Altlichtenwarth das Heimatmuseum Stube und Rauchküche in einem alten Bauernhaus in der Brunngasse 65, das von der Gemeinde angekauft worden war. In dem Haus hatten sich eine bäuerliche Stube und eine Rauchküche erhalten, die mit entsprechendem Inventar eingerichtet wurden. Ähnlich wie in Niedersulz sollte der Eindruck des Bewohntseins erweckt werden. Die Datierung der Tramdecke mit 1849 gab die Zeitstellung vor. Das benötigte Material kam aus meiner Sammlung. 2006 musste das Museum geschlossen werden, worauf ich die Objekte zurücknahm.

 

Inventar und Bestand

Mit der Weiterentwicklung der Sammlung ging eine zunehmende Professionalisierung einher. Mir war klar, dass die Ausstellung im Schaudepot alleine nicht ausreichte. Die Sammlung ist vollständig auf dem Programm Imdas Light inventarisiert, das ich 2016 angeschafft hatte. Die Inventarisierung erfolgte von 2016 bis 2020 gemeinsam mit meinen Töchtern Rhea und Sophie. In mehreren Inventarisierungswellen erfassten wir, was seit Jahren so "herumlag".

Der Gesamtumfang umfasst 546 Inventarnummern, wobei eine Nummer in der Regel einem Objekt entspricht, manchmal auch zwei Objekten oder mehr. Aufgrund der mehrstufigen Erstellung des Inventars ist es zu zwei verschiedenen Inventarnummern gekommen: einerseits eine Durchnummerierung ohne Buchstabenkürzel mit fortlaufender Zahl und andererseits – in der zweiten Phase – Inventarnummern mit Buchstabenkürzel und fortlaufender Zahl für fünf Kategorien. Die Zuordnung zu den Kategorien ist bei allen Einträgen, auch bei denen ohne Buchstabenkürzel, erfolgt. Es wurden folgende fünf Kategorien definiert: Bäuerliches Gerät (BG, 194 Inventarnummern), Im Haus (IH, 284 Inventarnummern), Möbel (M, 21 Inventarnummern), Kunst/Volkskunst (KVK, 29 Inventarnummern), Sonstiges Dorf (SD, 14 Inventarnummern).

Bäuerliches Gerät (BG)

Der Bestand umfasst 194 Inventareinträge. Die größten Gegenstände sind zwei Fahrzeuge, ein Schlitten und ein Steirerwagen. Bemerkenswert sind drei aus einem Baumstamm ausgehackte Tröge (zwei Schlachttröge und ein kleinerer Backtrog). Auch bäuerliches Werkzeug für Acker und Weinbau sowie Handwerkswerkzeug von Fassbinder, Sattler, Schneider und Zimmermann sind enthalten. Eine Trennung von bäuerlichem Gerät und Handwerk erschien ob des überschaubaren Bestandes nicht notwendig. Bemerkenswert sind eine mit einer eingeschnitzten Datierung versehene Zimmermanns-Werkzeugtruhe sowie ein bäuerlicher Sattel, möglicherweise in Sekundärverwendung. Insgesamt sind die Objekte, abgesehen von den oben genannten Ausnahmen, kleinformatig.

Im Haus (IH)

Der Bestand ist bei weitem der größte und umfasst 284 Inventareinträge. Es sind Gegenstände, die im Haushalt Verwendung gefunden haben. Er besteht vor allem aus viel Geschirr: Tongeschirr, Keramik, Vorratsgefäße, Glas. Werkzeug für Küchenarbeit, Brotbacken. Bemerkenswert ist der Bestand an Rasselbinderarbeiten, an Gußeisentöpfen und -pfannen, einer Topfenpresse, einem Butterstampfer, einem Wäschepracker sowie einer hölzernen Waschmaschine.

Möbel (M)

Der Bestand umfasst 21 Inventareinträge: Zwei lasierte Weichholzkästen, ein Tisch, Sessel, Bänke und Banklehnen. Auf Grund stilistischer Merkmale ist eine Zuordnung vor 1850 vor allem bei den Bänken und Banklehnen wahrscheinlich. Die Banklehnen, obwohl Fragmente, sind als Anschauungsmaterial brauchbar. Bemerkenswert ist eine vollständige bäuerliche Bank mit Lyramotiven, die in der Lehne eingearbeitet sind und deren Besitzergeschichte aufgezeichnet werden konnte. Ein Kinderbett sowie zwei Tafelbetten ergänzen den typisch bäuerlichen Möbelbestand.

Zu erwähnen ist außerdem ein um 1910 einzuordnendes Sesselpaar aus dem Besitz des Bürgermeisters. Dieser hat auf einem der beiden Sessel auf der Unterseite vermerkt, dass ein Mitglied des Kaiserhauses anlässlich eines Militärmanövers darauf gesessen hatte. Ein zu diesem Anlass entstandenes Gruppenfoto ist in meiner Sammlung erhalten und publiziert (Altlichtenwarth. Pfarr- und Alltagsgeschichte, S.254). Zur Fundgeschichte dieses Objekts erzähle ich etwas weiter unten mehr, wenn es um "Meine Lieblingsstücke" geht.

Kunst/Volkskunst (KVK)

Der Bestand umfasst 33 Einträge. Es handelt sich um Bilder mit religiösen Motiven, bäuerliche Fotoporträts und Erinnerungsbilder an Hochzeit und Goldene Hochzeit sowie Kreuze aus dem häuslichen Gebrauch. Bemerkenswert ist ein Keramik-Weihbrunnkessel. Besonders erwähnenswert sind drei Vasen aus den 1960er und 1970er Jahren, die mit Perlmuttresten eines Knopfdrechslers sowie mit Glas-, Muschel- und Schmuckelementen verziert wurden. Im Wohnhaus der Herstellerin gab es vermutlich bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine Knopfdrechslerei, deren Perlmuttverschnitt hier Verwendung fand. Als großes Objekt ist ein bemalter Tram von 1801, Relikt einer Tramdecke, nennenswert.

Sonstiges Dorf (SD)

Der Bestand umfasst 14 Einträge. Militärisches wie Soldatenkoffer, Feldflaschen, Feldspaten und Feldgeschirr, die in bäuerlicher Sekundärverwendung gestanden sind; Schulisches wie Schultafeln und Rechenmaschine. Bemerkenswert ist die Nachtwächterhellebarde des Altlichtenwarther Nachtwächters, dessen Geschichte gut erfasst ist. Ein Gruppenfoto des Nachtwächters, auf dem auch der Schwiegersohn zu sehen ist, der Totengräber im Ort war, ist in Östliches Weinviertel. Alltag im Dorf, S.18 publiziert. Außergewöhnlich sind auch zwei Weindiplome eines Wiener Wirtes mit Altlichtenwarther Wurzeln, ausgestellt für den guten Absatz des örtlichen Weins.

 

Meine Lieblingsstücke

Ein Kummetstock: Von einem alten Sattlermeister, Herrn Harrich, bekam ich seinen Kummetstock aus Kirschholz geschenkt. Dies war eine ganz besondere Begegnung für mich, zu einer Zeit, als Herr Harrich schon als Matratzenmacher und Schultaschenflicker sein Auslangen fand, denn der Sattlerberuf war nicht mehr gefragt.

Zwei Bügeleisen: Ich kam zur Witwe des Schneidermeisters Heinz („Hoanzschneider“ auf Weinviertlerisch). "Gibt es noch Werkzeuge von ihm", fragte ich?-  "Ja", sagte sie, "zwei Bügeleisen liegen in der Dachrinne." - "Was? Wieso?", ich war doch sehr verblüfft. Die Erklärung war so naheliegend wie praktisch: Die Dachrinnen waren locker und die Bügeleisen hielten sie mit ihrem Gewicht fest, sodass sie nicht mehr schepperten. Nun, ich stieg über die Leiter hinauf, barg die beiden gusseisernen Bügeleisen und durfte sie mitnehmen.

Ein "ganz normaler, alter" Sessel:

Eines Tages wollte meine fast 90-jährige Großtante, dass ich sie besuchte, sie hätte etwas für mich. Es handelte sich, so erzählte sie, um einen Sessel von ihrem Vater, auf dessen Unterseite geschrieben stand: „Hier saß am 11. August 1910 anläßlich des Scharfschießens seine kaiserliche Hochheit Erzherzog Franz Salvator“. Das war schon toll!

Die weitere Recherche brachte auch die Geschichte dazu ans Tageslicht: Der Vater meiner Großtante war damals der Bürgermeister im Ort und hatte den Sessel zum Gruppenfoto mit den Soldaten vor sein Haus hinausgestellt. Ich konnte sogar das Foto, das zu diesem Anlass geschossen worden war, ausfindig machen und wenn man es weiß, worauf man achten soll, erkennt man inmitten der etwa 50 Personen den Erzherzog. Unglaublich, was ein vermeintlicher Alltagsgegenstand zur Dorfgeschichte erzählt!

 

Tipps und Tricks für alle Sammler*innen

  • Leidenschaft und Hartnäckigkeit! Sie bilden die Basis, mit ihnen bleibt man den Dingen auf der Spur, sucht und forscht weiter, auch wenn die Tage einmal nicht so gut sind und sich kein Sammlungserfolg einstellt. Aber früher oder später entdeckt man wieder etwas, das Herz geht auf und man bleibt dran. 
     
  • Professionalisierung! Wie gehe mit den Objekten richtig um, wie bewahre, lagere und pflege ich sie richtig, was muss ich bei deren Ausstellung beachten? 
    Meine große Empfehlung ist die (ehrenamtliche) Mitarbeit in einem Museumsverein. Dort sieht man, was es alles gibt. Man lernt dazu, wird achtsamer und aufmerksamer.
     
  • Austausch! Der regelmäßige Kontakt mit Gleichgesinnten ist besonders wichtig. Im östlichen Weinviertel gab es bereits in den 1980er-Jahren die sogenannten „Museumsleitertreffen“. Da trafen wir uns immer bei einem anderen Sammler, einer anderen Sammlerin, sahen uns deren Stücke an und konnten uns austauschen. Für mich war dies ein Riesenvorteil, denn dadurch kannte ich bereits im Alter von Anfang 20 alle örtlichen Sammler*innen, deren Bestände und wie sie vorgingen.

"Gedächtnis des Dorfes": Zur Zukunft der Sammlung

Ich habe den Wunsch, die Sammlung weiterzugeben, schließlich ist sie das Gedächtnis unseres Dorfes, das über die Objekte, deren Beschreibungen und Abbildungen über die Zeiten hinweg zugänglich ist und bleibt. Hierbei spielt die digitale Erfassung im DIPkatalog des Museumsmanagement Niederösterreich eine entscheidende Rolle, denn diese macht die Stücke unabhängig von Ort und Zeit allen Interessierten unkompliziert zugänglich.

Mein Wunsch ist es, dass der Bestand in einem großen Museum aufgehe, wo er für die Vermittlung dörflicher Vergangenheit verfügbar wäre. Wichtig ist mir die Zurückverfolgbarkeit des Altlichtenwarther Konvoluts in der großen Sammlung – nicht zuletzt auch, um Erkenntnisse über ein konkretes Dorf als exemplarisches Beispiel zu gewinnen und gleichzeitig den Altlichtenwarther*innen ein dörfliches Gedächtnis zu bewahren.

 

Text: Dr. Richard Edl

 

Schmökern Sie in der Sammlung von Richard Edl:

Merkliste
asdf