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Vergangenheit zum Klingen bringen

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Die niederösterreichischen Klöster bewahren einen einzigartigen Schatz an Musikalien, die nun im Fokus der aktuellen Forschung stehen und nach langer Zeit wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.

Als der Göttweiger Schulmeister Simon Sännigk am 12. Juni 1597 eine mehrseitige Liste zum Musikalienbestand in der Klosterschule verfasste, indem er gewissenhaft das vorhandene Notenmaterial beschrieb, war ihm wohl nicht bewusst, welche große Bedeutung dieses Schriftstück über 400 Jahre später haben sollte.

Diese historischen Inventare gehören wohl zu den spannendsten Quellen eines Stiftsarchives, die einen oft recht unmittelbaren Blick in die unterschiedlichen Bereiche eines Klosters und deren Nutzung bieten können.

 

Noten für den täglichen Gebrauch

Im Zuge umfassender Forschungen zur Kunst- und Wunderkammer des Stiftes Göttweig konnten im vergangenen Sommer zufällig auch einige Verzeichnisse identifiziert werden, die in verhältnismäßig großem Umfang über Musikalien berichten. Bei den angeführten Drucken und Handschriften handelt es sich um Notenmaterial für den täglichen Gebrauch im Kloster.  Ein Inventar von 1612, in dem ein umfangreicher Notenbestand zu finden ist, wurde bereits in den 1950er Jahren bei Ordnungsarbeiten im Archiv entdeckt. Nun blieben im Göttweiger Stiftsarchiv aber auch noch weitere Inventare aus älteren Zeiten erhalten. Das älteste datierte Verzeichnis ist jenes des Schulmeisters Simon Sännigk aus dem Jahr 1597, ein weiteres Inventar wurde vermutlich nach dem Tod von Abt Georg I. Schedler (reg. 1604–1610) im Jahr 1610 verfasst  (eine zeitgenössische Abschrift davon befindet sich im NÖ Landesarchiv). Ein anderes Einzel-Verzeichnis, das großteils nur Musikalien enthält, wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geschrieben und später mit zahlreichen Ergänzungen versehen.

Musikpraxis im 16. und 17. Jahrhundert

Diese Inventare können nun der Forschung einen wertvollen Einblick in die Musikpraxis des Stiftes Göttweig an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert geben. Das Festhalten der Musikalien in genauen Listen, die es bis heute ermöglichen die einzelnen Stücke zu identifizieren, zeugt von der Werthaftigkeit dieses Bestandes im Kloster.

Als Standort der Musiknoten lässt sich aus den Inventaren die Klosterschule rekonstruieren. „In der Schuel“ lautet die Überschrift, die 1610 und 1612 die Abteilung Musik in den Verzeichnissen einleitete.  Diese Schule war bis zum zerstörerischen Stiftsbrand von 1718 in einem Gebäude untergebracht, das heute direkt vor der monumentalen Kirchenfassade stehen würde und dessen Fundamente wohl noch im Boden erhalten sind. Dies lässt sich zumindest aus den historischen Plänen rekonstruieren

Evakuierung und Neuaufstellung

Heute enthält das Musikarchiv des Stiftes Göttweig knapp 5.000 Noten-Handschriften, zirka 2.000 gedruckte Noten sowie eine große Anzahl historischer Instrumente. Eine umfassende musikhistorische Bibliothek bezeugt ferner das wissenschaftliche Interesse an Musik seit dem 19. Jahrhundert.

Während des Zweiten Weltkrieges war das gesamte Göttweiger Musikarchiv im Stift Altenburg ausgelagert und so vor möglichen Bombenangriffen geschützt. Die Wirren des Kriegsendes brachten die Zerstörung vieler Musikalien und gänzliche Unordnung der Sammlung. Erst 1948 erfolgte nach einigen Schwierigkeiten die Rückführung der Noten ins Stift.

Die heutige Aufstellung und Ordnung des Musikarchives ist dem Mainzer Professor Friedrich Wilhelm Riedel zu verdanken, der auf Ermunterung des Göttweiger Abtes Wilhelm Zedinek ab 1959 bis vor wenigen Jahren das Musikarchiv wissenschaftlich betreute und für eine konsequente und gewissenhafte Ordnung Sorge getragen hat.

Forschungsprojekt "Kloster_Musik_Sammlungen"

Seit nunmehr einem Jahr ist die Musiksammlung des Stiftes Göttweig Teil des an der Donau-Universität Krems angesiedelten Forschungsprojekts „Kloster_Musik_Sammlungen“, das durch Mittel des FTI-Programmes des Landes Niederösterreich finanziert wird und gleichzeitig auch die Aufarbeitung der Musiksammlungen der Stifte Klosterneuburg und Melk beinhaltet. Nun ist es erstmals möglich drei große, klösterliche Musikarchive vergleichend und systematisch zu bearbeiten, um den Austausch von Musik zwischen den Klöstern  nachzeichnen zu können. Im Zuge des Projekts, an dem auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften und die Masaryk-Universität Brünn beteiligt sind, wird eine webbasierte Datenbank erstellt, die zukünftig die Recherchearbeit in diesen Sammlungen wesentlich erleichtern wird. Ausgewählte Musikstücke werden im Rahmen einer Edition einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und können nach langer Zeit wieder zur Aufführung gebracht werden.

Datenbank schaffen

Neben völlig neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur musikalischen Vernetzung der Klöster untereinander und einer Datenbank, die das gewonnene Wissen öffentlich zugänglich macht, soll letztendlich der eigentliche Zweck der Musiksammlungen am Ende stehen: alte Musik zum Klingen bringen.

Weitere Informationen zum Projekt Kloster_Musik_Sammlungen: klostermusiksammlungen.at 

Text: Bernhard Rameder